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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes
Autoren: Christoph Lode
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sich nicht gefallen lassen. Sie würde nur mit ihr fortgehen oder gar nicht.
    Sie rutschte vom Schoß ihrer Mutter und lief los, vorbei an Mirjam, durch die Tür. »Rahel, bleib hier!«, rief die Magd. Doch sie lief weiter, durch den Innenhof, den Eingangsraum mit den Fremden; das Kami’ah hüpfte auf ihrer Brust. Sie würde sich verstecken, an einem Ort, wo weder ihre Mutter noch Mirjam sie fanden.
    Niemand brachte sie von hier fort. Niemand.
    Sie wollte zur Treppe laufen, überlegte es sich aber anders. Auf dem Dachboden würde man sie als Erstes suchen. Sie kannte bessere Verstecke. Geheime Schlupfwinkel, in denen sie vor Entdeckung sicher wäre.
    Vor der Kellertreppe befand sich eine Tür, die meistens verschlossen
war. Rahel wusste jedoch, wo der Schlüssel aufbewahrt wurde: in einer Nische hinter einem dreiarmigen Kupferleuchter. Sie hatte Mirjam einmal dabei beobachtet, wie sie ihn dort versteckt hatte. Doch zu ihrer Überraschung stand die Tür offen, als sie dort ankam. Und noch etwas war seltsam: Fackellicht erhellte die schmale Treppe. Hatten Mirjam oder ihre Mutter vergessen, sie zu schließen? Aber was taten sie an einem Tag wie diesem im Wollkeller?
    Rahel hörte Mirjam nach ihr rufen. Sie kümmerte sich nicht länger darum, warum die Tür offen stand, und lief die Stufen hinab.
    Die Kellerräume waren größer und höher als die geräumigsten Kammern des Hauses und bis zur steinernen Decke mit Wollballen gefüllt, sodass man nur einen Schritt hineingehen konnte, ehe man vor einer wollenen Wand stand. Doch es gab Spalten zwischen den in Segeltuch eingeschlagenen Quadern, die manchmal Tunnel bildeten. Tiefe Tunnel, viel zu eng für einen Erwachsenen. Sollte Mirjam doch versuchen, sie da herauszuholen. Rahel stellte sich vor, wie die Magd sich fluchend und schimpfend durch die Spalten zwängte. Wäre sie nicht so verzweifelt gewesen, hätte sie darüber gekichert.
    Ihre Mutter hatte erst vor einigen Tagen eine neue Wolllieferung bekommen, und die Gewölberäume, die nahe bei der Rampe zur Straße lagen, waren übervoll, sodass die Lücken zwischen den Ballen selbst für sie zu eng waren. Sie lief weiter nach hinten in den Keller. Vor der hintersten Kammer blieb sie verblüfft stehen.
    Jemand hatte die Ballen so aufeinandergestapelt, dass sie eine schmale Gasse bildeten, die zur Rückwand des Raumes führte. Dort befand sich eine offene Tür, aus der ebenfalls Fackellicht fiel.

    Rahel hatte diese Tür noch nie bemerkt; bis vor einem Herzschlag hatte sie nicht einmal gewusst, dass sie überhaupt existierte. Und dabei hatte sie immer geglaubt, dass sie jeden noch so unzugänglichen Winkel des Hauses genau kannte.
    Der Tunnel zur Mikweh !, durchzuckte es sie. Das also hat Mutter gemeint!
    Angst und Verzweiflung waren plötzlich vergessen. Stattdessen war sie genauso aufgeregt wie bei der Entdeckung des Amselnests. Hier gab es ein Geheimnis. Ein Geheimnis, das nur darauf wartete, von ihr ergründet zu werden.
    Langsam und bedächtig folgte sie der Gasse mit den baumhohen Wänden aus Segeltuch und Wolle. Ein unmerklicher Luftzug ließ die Fackel flackern. Je näher sie der Tür kam, desto stärker roch es nach Moder und Feuchtigkeit. Doch da war noch ein anderer Geruch, bei dem sie an hohe Festtage denken musste, an Chanukka und Purim, an köstliche Speisen und Abende im Kerzenschein: der Duft von verbranntem Sandelholz.
    Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie durch die Türöffnung trat. Vor ihr lag ein Raum, ein Saal beinahe, so groß war er. Der Schein der Fackel fiel auf einen Tisch mit einem Dutzend Lehnstühlen. Ein Bild des Lebensbaumes befand sich an der Decke darüber, viel größer, bunter und prachtvoller als das Mosaik im Garten; die Wand zu ihrer Rechten war mit einem gewaltigen Doppeldreieck versehen, einem Davidsstern wie auf dem Kami’ah.
    Was war das für ein Ort? Und warum hatte Mutter ihn ihr nie gezeigt oder wenigstens davon erzählt?
    Mit angehaltenem Atem betrat Rahel das Gewölbe und hatte dabei das wohlig-schaurige Gefühl, etwas schrecklich Verbotenes zu tun.

    Kostbare Teppiche zierten die nackten Steinmauern. Kupferbeschlagene Truhen und vielarmige Leuchter mit armdicken Talgkerzen standen davor. Auf dem Tisch, in zwei Schalen, lagen die verkohlten Reste von Sandelholz. Jemand hatte die Stühle verschoben. War ihre Mutter mit ihren Gästen hier gewesen?
    An der gegenüberliegenden Wand des Raumes entdeckte sie eine weitere Tür. Rahel war davon überzeugt, dass sich dahinter der
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