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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes
Autoren: Christoph Lode
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sich und machte Louis Platz, der eine Axt in den Händen hielt. Er stieg die Stufen zum Eingang des Hauses hinauf und hackte auf die Tür ein. Jubelrufe begleiteten jeden Hieb.
    Rahel musste ihrer Mutter sagen, was draußen vor sich ging. Sie war so beschäftigt, dass sie es vielleicht nicht bemerkt hatte. Aber sie würde nicht zulassen, dass Ben Ephraim etwas zustieß, was immer er getan hatte. Sie war angesehen unter den Bewohnern des Viertels, sie kannte den Erzbischof und die Ratsleute des Magistrats, sie würde Louis und den anderen sagen, dass sie aufhören sollten.
    Rahel kroch rückwärts aus der Fensternische. Als sie sich umdrehte, stieß sie mit Mirjam zusammen.
    »Rahel!«, sagte die rothaarige Frau scharf. »Was machst du hier?«
    »Ben Ephraim … die Christen … sie wollen ihm wehtun! Ich muss sofort zu Mutter!«, sprudelte es aus Rahel hervor. Sie wollte an Mirjam vorbeilaufen, doch die Magd hielt ihren Arm mit einem eisernen Griff fest.
    »Wieso bist du nicht in deiner Kammer, wie sie es dir gesagt hat?«
    Alle waren so beschäftigt gewesen, dass sie gedacht hatte, niemandem würde es auffallen, wenn sie für eine Weile auf den Dachboden stieg. Aber natürlich hatte Mirjam es bemerkt. Ungehorsamkeiten bemerkte sie immer.
    Rahel sagte nichts. Sie blickte die Magd böse an.
    »Komm jetzt«, sagte Mirjam. »Deine Mutter will mit dir reden.«
    Als befürchte sie, Rahel könnte versuchen wegzulaufen, nahm sie sie an der Hand, während sie zur Leiter gingen. Mirjams Hände waren groß, stark und schwielig von der Arbeit in
der Küche und im Kräutergarten, ihr Haar hatte sie am Hinterkopf zusammengebunden. Allerdings waren die roten Locken widerspenstig; stets befreite sich eine aus dem Bändchen und fiel ihr ins Gesicht. Mirjam hatte die größten Brüste, die Rahel je gesehen hatte. Prall wölbten sie sich unter der Schürze und quollen, wenn sich die Magd bückte, schier aus dem Ausschnitt. Rahel hoffte, dass ihre Brüste einmal nicht so groß werden würden. Es musste schrecklich unpraktisch sein, so große Brüste zu haben.
    Mirjam war vor zwei Jahren zu ihnen gekommen, nach Vaters Tod, als Rahels Mutter sich um die Geschäfte kümmern musste. Anfangs hatte Rahel die Magd mit den harten grünen Augen nicht sonderlich gemocht. Mirjams raue, laute Stimme hatte ihr Angst gemacht, außerdem war es unmöglich, etwas vor ihr zu verbergen. Rahel hatte versucht, sie zu vertreiben, indem sie Rattendreck und tote Fledermäuse in ihrem Bett versteckte. Aber sie hatte damit nur erreicht, dass Mirjam abfällig lachte und ihr Ratschläge gab, was man anstellen musste, wenn man jemanden wirklich ärgern wollte. Tue ihm Froschlaich in die Schuhe, hatte sie vorgeschlagen. Ratschläge für Streiche - und das aus dem Mund eines Erwachsenen! Unter diesen Umständen war ihr nichts anderes übriggeblieben, als sich mit Mirjam anzufreunden. Und das waren sie nun: Freunde.
    Allerdings nicht in diesem Augenblick. Unsanft zerrte Mirjam sie zur Leiter.
    »Au-aa!«, beschwerte sie sich.
    »Geh schon. Na los«, sagte die Magd mit Nachdruck, »deine Mutter wartet.«
    Sie kletterte die Leiter halb hinab und sprang dann, weil sie wusste, dass sie Mirjam damit ärgern konnte. Bevor sie auf den Dachboden gestiegen war, war ihre Mutter mit den Gästen in
der Kammer gewesen, wo sie für gewöhnlich die englischen Wollhändler empfing. Rahel lief zum Eingangsraum. Der Saal erstreckte sich über beide Stockwerke des Hauses, eine Treppe aus dunklem Kiefernholz führte vom Ober- zum Erdgeschoss. Auf der obersten Stufe blieb sie stehen. Die beiden Fenster und die Tür waren verrammelt wie bei den anderen Häusern der Straße, zwei Fackeln brannten, gedämpft drang das Grölen der Menge herein. Die Gäste ihrer Mutter standen herum, drei Männer und vier Frauen. Sie waren Juden, manche älter als Mutter, manche jünger, und kamen aus der ganzen Normandie. Sie seien Freunde, hatte ihre Mutter gesagt. Ihre Namen hatte Rahel schon wieder vergessen.
    Sie entdeckte ihre Mutter und lief die Treppe hinunter. Keiner der Gäste schien sie zu bemerken. Aufgeregt redeten sie miteinander. Ihre Mutter sprach leise mit einer jungen Frau mit langem, blondem Haar und ernsten Augen, bis sie Rahel bemerkte.
    »Dem Ewigen sei Dank, da bist du ja.«
    »Du musst Ben Ephraim helfen!«, rief Rahel atemlos. »Sie haben einen Nachttopf gegen sein Haus geworfen! Und Louis schlägt seine Tür entzwei! Mit einer Axt!«
    »Ja, ich weiß«, erwiderte ihre Mutter traurig.
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