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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes
Autoren: Christoph Lode
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schneiden dir die Lippen ab!«
    »Gerechter Herr aller Himmel«, flüsterte Mirjam.
    Rahel sah zu ihr auf. Ein harter Zug lag um den Mund der Magd, ihre grünen Augen schienen zu glühen. Rahel ergriff
ihre Hand. »Warum tun sie das?«, fragte sie leise. »Und Noah … warum tun sie ihm weh?«
    »Ich weiß es nicht... weil sie voller Hass sind. Geh vom Fenster weg.« Mirjam presste sich mit dem Rücken an die Wand zwischen zwei Fenstern und drückte Rahel an sich. Mehr zu sich selbst sagte sie: »Hoffentlich hat Ruth es noch rechtzeitig geschafft.«
    Ruth musste die blonde Frau sein, die ihre Mutter zum Erzbischof geschickt hatte, begriff Rahel... und da wurde ihr plötzlich die gefährliche Lage bewusst, in der sie und Mirjam steckten: Mirjam wollte sie vom Viertel fortbringen, aber ein Tor des Judenviertels befand sich nicht weit von Ben Ephraims Haus und das andere gleich neben der Mikweh. Andere Wege gab es nicht. Sie mussten an den brüllenden Christen vorbei.
    Schluchzend flehte Noah um Gnade. Die Männer schrien. Rahel hielt sich die Ohren zu, bis Mirjam ihr die Hände wegnahm. Die Magd ging vor ihr in die Hocke.
    »Hör zu, Rahel«, sagte sie ernst. »Du musst allein zu den Gauklern gehen. Sie sind am Marktplatz in einem alten Lagerhaus hinter einer Schänke, der ›Tanzenden Jungfer‹. Weißt du, welche ich meine?«
    Rahel starrte die Magd an. Sie verstand kein Wort. »Ich soll allein gehen?«
    »Ja. Zu zweit schaffen wir es nicht.«
    »Und du? Was ist mit dir?«
    »Ich lenkte die Christen ab, damit du zum Tor laufen kannst.«
    »Aber ich will nicht ohne dich gehen!«
    »Du musst, Rahel. Ich öffne jetzt die Tür, laufe nach draußen und mache kräftig Lärm. Wenn alle in meine Richtung sehen, läufst du, so schnell du kannst, zur Pforte und weiter zur
›Tanzenden Jungfer‹. Der Anführer der Gaukler heißt Yvain. Er erwartet dich. Hier ist ein Beutel mit deinen Kleidern.«
    Rahel nahm ihn entgegen und sah dann wieder Mirjam an. Abermals stiegen ihr die Tränen in die Augen, doch diesmal kämpfte sie dagegen an. Sie wollte nicht weinen. Sie wollte mutig sein, so mutig wie Mirjam.
    »Deine Mutter hat den Erzbischof benachrichtigt«, sagte die Magd. »Sie hofft, dass er uns hilft, aber wenn du mich fragst, wird dieser fette Geldsack keinen Finger für uns krumm machen. Wir werden zusehen müssen, dass wir allein zurechtkommen. Deshalb musst du alles so machen, wie ich es dir gesagt habe.«
    Rahel nickte.
    »Also, wohin gehst du, wenn die Christen fort sind?«
    »Zur ›Tanzenden Jungfer‹«, wiederholte sie folgsam. »Zu Yvain.«
    Mirjam lächelte und strich ihr über die Wange. »Du schaffst das, ich weiß es. Du bist ein kluges Mädchen.« Sie stand auf und legte die Hand auf den hölzernen Riegel. Ihr Blick wurde hart, sie holte tief Luft, klappte den Riegel zurück und stieß die Tür auf. »Ihr Christenschweine!«, brüllte sie mit ihrer rauen Stimme, die für Flüche und Beschimpfungen wie geschaffen war, während sie auf die Straße lief. »Ihr Hunde und Feiglinge und stinkenden Aasfresser! Kommt doch her, wenn ihr euch traut!«
    Für einen Herzschlag schien das Gebrüll der Meute auszusetzen, dann rief jemand: »Schnappt euch das Weib!«, und überall brach wütendes Geschrei los.
    Rahel kauerte zitternd neben der Tür. Sie wagte nicht daran zu denken, was mit Mirjam geschehen würde, wenn die Meute sie ergriff. Vorsichtig lugte sie am Türpfosten vorbei. Sämtliche
Christen, zwei Dutzend oder mehr, schwenkten ihre Heugabeln, Sensen und Äxte, während sie die Magd verfolgten. Sie liefen fort von der Mikweh.
    Rahel wäre am liebsten wieder die Treppe hinuntergelaufen, durch den Tunnel, zurück nach Hause zu ihrer Mutter. Aber sie wollte, dass Mirjam und ihre Mutter stolz auf sie sein würden. Deshalb durfte sie jetzt nicht ängstlich sein. Sie würde all ihren Mut zusammennehmen und tun, was Mirjam gesagt hatte.
    Sie stand auf und rannte auf die Straße.
    Die Pforte des Viertels bestand aus einem Torbogen zwischen zwei Häusern; dahinter lag der Marktplatz, auf dem sich gerade eine neue Menge sammelte. Christen strömten aus Häusern und Gassen und scharten sich um einen mageren, bärtigen Mann, der ein schimmerndes Kruzifix in die Höhe reckte, sich im Kreis drehte und immer wieder schrie: »Seid Werkzeuge unseres Herrn! Straft die Mörder seines Sohnes!«
    Rahel presste sich den Beutel an den Bauch und lief noch schneller. In der Mitte der Straße jedoch blieb sie ruckartig stehen.
    Zwischen den
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