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Der gelbe Handschuh

Der gelbe Handschuh

Titel: Der gelbe Handschuh
Autoren: Alfred Weidenmann
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wurde die gemeinsame Reise vorbereitet.
    Dabei hatte es Apotheker Finkbeiner übernommen, zwei dicke Bücher über die Karibischen Inseln zu lesen. Er konnte den anderen jetzt schon erzählen, welche Temperaturen man um diese Jahreszeit auf Trinidad zu erwarten hatte, daß Barbados eine Insel mit sehr vielen Zuckerplantagen ist und welchen exotischen Tieren man begegnen würde.
    „Auf Jamaica zum Beispiel gibt es noch eine ganze Menge Marabus und Papageien“, erklärte Herr Finkbeiner und paffte eine weiße Wolke Zigarrenrauch ins Zimmer.
    Peter und Ulli hatten sich im Kaufhaus des Westens einen Schiffsplan besorgt, der die MS Europa so zeigte, als wäre sie der Länge nach und in der Mitte einfach durchgeschnitten. Jetzt konnte man genau sehen, wo die Öltanks waren, die Maschinenräume, die Kabinen für die Besatzung, die Kabinen für die Passagiere und die Kommandobrücke. Die Lage der verschiedenen Decks hatten sie inzwischen schon auswendig gelernt wie englische Vokabeln.
    „Sonnendeck, Verandadeck, Oberdeck, Hauptdeck, A-Deck!“ Peter rasselte sie herunter. Und Ulli rasselte weiter: „B-Deck, C-Deck, D-Deck, Brückendeck...“
    „Alle Achtung“, sagte Frau Finkbeiner, „wenn ihr jetzt schon so gut Bescheid wißt, können wir auf dem riesigen Schiff gar nicht verlorengehen. Im übrigen hole ich jetzt die Nachspeise.“ An der Küchentür drehte sie sich noch einmal um: „So eine Schiffsreise ist ein dolles Ding, wenn man sich das genau überlegt.“
    „Ja, sie hat einige Vorteile“, antwortete Herr Finkbeiner und nahm wieder einmal einen Zug aus seiner Zigarre. „Man lernt ein Dutzend Gegenden kennen und muß nicht ein einziges Mal die Koffer aus- und wieder einpacken.“
    „Und die Kabine schwimmt immer mit wie ein Hotelzimmer“, meinte Herr Wagner.
    „Auch kein stundenlanges Rumsitzen wie im Zug oder im Flugzeug“, rief es aus der Küche. Gleich darauf kam Frau Finkbeiner mit einer Schüssel Himbeerspeise in das Zimmer zurück. „Du legst dich in deiner Kabine ins Bett, und während du schläfst, transportiert dich so ein Schiff in den nächsten Hafen.“
    „Das muß man zugeben“, bemerkte Frau Wagner. „Bequemer geht’s wirklich nicht.“
    Plötzlich war es ganz still im Zimmer, und Frau Finkbeiner, die gerade damit angefangen hatte, ihre Himbeerspeise zu verteilen, blieb mit dem Löffel mitten in der Bewegung über der Schüssel in der Luft stehen.
    Von der Straße her hörte man zuerst ein Auto vorbeifahren und dann einen Hund bellen.
    Schließlich räusperte sich Herr Wagner und fragte seine Frau: „Vielleicht tut’s dir jetzt leid, und du würdest die Reise doch gerne mitmachen?“ Er legte ihr den Arm um die Schulter. „Stimmt’s oder hab’ ich recht?“
    „Einerseits natürlich“, gab Frau Wagner zu. „Andererseits ist eine Schiffreise für jemanden, der schon seekrank wird, wenn er nur in der Badewanne herumschwimmt, kein reines Vergnügen. Von meinem Gipsbein gar nicht zu reden.“
    Sie lachte, so gut es ging, und dann fiel ihr plötzlich ein, daß sie für Ulli ja noch mindestens zwei Paar Socken besorgen mußte und für ihren Mann eine Badehose.
    „Eine ganz bunte“, schlug Apotheker Finkbeiner vor. „Haifische sollen einen sehr hochentwickelten Schönheitssinn haben und lassen einen dann in Ruhe.“

    Als es eine Woche später am 19. Dezember zum Flugplatz ging, war Frau Wagner doch ziemlich bedrückt und brachte nicht einmal ein kleines Lächeln fertig. Aber schließlich war sie auch nicht als Schauspielerin unterwegs.
    Noch bei der Gepäckaufbewahrung gelang es ihr, ganz harmlos und beinahe vergnügt zu sagen: „Und vergeßt ja nicht, mir aus jedem Hafen eine Ansichtskarte zu schicken.“
    Aber beim Abschiednehmen an der Sperre traten ihr dann doch ein paar Tränen in die Augen.
    „Kommt gesund zurück, ihr Knalltüten“, sagte sie zu ihren beiden Männern. Dann gab sie zuerst Ulli einen Kuß und anschließend Herrn Wagner.
    „Mach mir nichts vor“, meinte der Portier vom Kempinski. „Ich kenn doch dein Gesicht wie meine Hosentasche.“
    „Flugzeuge warten nicht“, stellte Frau Wagner fest und gab ihrem Mann einen Schubs. „Ab mit euch!“
    Ein paar Minuten später winkte sie durch eine große Glasscheibe, hinter der die Passagiere wie eine Herde Schafe zum Flugplatz geführt wurden.
    Und sie winkte auch noch, als die Reisenden schon eingestiegen waren und die Maschine zur Startbahn rollte.
    Die Triebwerke heulten auf, das Flugzeug wurde immer schneller,
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