Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
Vom Netzwerk:
den Raum zu verlassen; es sei besser so, damit er die Verlobte seines Sohnes richtig kennenlerne und damit Vater und Schwiegertochter sich näher kämen.
    »Du, Gatuiria, gehst jetzt und begrüßt deine Mutter, und führe unsere Gäste hinaus zu den anderen Gästen. Und dann schließe bitte die Tür hinter dir und richte deiner Mutter aus: Bitte nicht stören!«
    Die Gäste gingen hinaus und warfen im Vorübergehen begehrliche Blicke auf Wariinga; mancher murmelte vor sich hin: »Die Schönen werden erst heute geboren! Was ist das Alter doch für eine schreckliche Sache!«
    Jeder war der Meinung, daß das Ganze nach Plan abliefe, so, wie Gatuirias Vater es sich ausgedacht hatte. Keiner bemerkte, daß eine unerwartete Wende eingetreten war - keiner, außer Wariinga und Gatuirias Vater. Gatuirias Vater? Wambuis Vater!
8
    Der Reiche Alte Mann sank in seinen Sessel zurück; seine Augen ließen noch immer nicht von Wariinga ab.
    »Hast du … Hast du gewußt, daß Gatuiria mein Sohn ist - mein einziger Sohn?«
    Wariinga schüttelte den Kopf, ein einziges Mal.
    Der Reiche Alte Mann stand auf und sagte zu Wariinga: »Knien wir uns nieder, wir wollen zusammen beten!«
    Wariinga zuckte nur mit den Schultern. Sie blieb stehen.
    «Please , ich bitte dich inständig darum, wir wollen zusammen beten, damit der Herr uns den rechten Weg zeigen kann.«
    Wariinga blieb stehen. Der Reiche Alte Mann aus Ngorika kniete vor Wariinga auf dem Teppich.
    Wariinga schaute ihn nur an, wie ein Richter einen Angeklagten anschaut, der heuchlerisch um Gnade bittet.
    Der Reiche Alte Mann versuchte zu beten. Aber die Worte des Gebets versagten sich ihm.
    Wariingas Lippen öffneten sich ein wenig, als wolle sie lachen, aber sie tat es nicht.
    Der Reiche Alte Mann aus Ngorika öffnete die Augen, schaute zu Wariinga auf, aber Hohngelächter und Spott tanzten in den Blicken, die ihm begegneten.
    Die Lippen des Reichen Alten Mannes zitterten unaufhörlich. Er gab es jetzt auf, zu beten, erhob sich und begann mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf dem Teppich hin und her zu gehen; aber bereits nach einigen Schritten blieb er wieder stehen und berührte den Tisch oder den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, dabei folgten ihm Wariingas Augen unablässig.
    Und dann unterbrach er plötzlich seine Wanderung und blieb vor Wariinga stehen.
    »Dies ist eine Prüfung …« sagte er mit der Stimme eines Ertrinkenden. Er senkte seinen Kopf, als wolle er vermeiden, Wariinga direkt in die Augen zu sehen, und dann sprach er im selben Tonfall weiter. »… es ist dir ja wohl klar, daß die Pläne, die ihr zusammen gemacht habt, du und Gatuiria, jetzt nicht mehr durchführbar sind!« Wariinga sagte weder ja noch nein. Sie schaute ihn nur unverwandt an.
    Wie Tautropfen stand ihm der Schweiß glänzend auf dem glatten kahlen Kopf.
    Und plötzlich empfand Wariinga Mitleid mit dem Mann. Sie setzte an, um etwas zu sagen, sagte jedoch nichts. Aber der schmerzhafte Dorn des Mitleids blieb und stach sie noch immer ins Herz.
    Der Reiche Alte Mann spürte, daß sich die Atmosphäre leicht verändert hatte, er meinte, einen Riß in der Wand eines zuvor harten Herzens erkennen zu können, und beeilte sich, den Riß mit Worten zu erweitern.
    »Jacinta! Wariinga! Es gibt nichts auf der Welt, das ich heute nicht für dich täte … und ich meine es ehrlich … alles würde ich heute für dich tun, wenn du diese Bürde von mir nähmest … Please , Jacinta, ich flehe dich an im Namen der Frau, die dich geboren hat! Mein Glück, mein Ansehen, mein Glaube, mein Besitz, mein Leben … alles liegt in deiner Hand. Du brauchst nichts anderes zu tun, als diese Bürde von mir zu nehmen!«
    In ihrem Inneren lachte Wariinga nur über ihn. Der Dorn des Mitleids schmerzte nicht mehr. Aber sie öffnete doch den Mund und sagte ein einziges Wort:
    »Wie?«
    Der Reiche Alte Mann aus Ngorika hatte ihre Stimme seit langem nicht mehr gehört. Er hob sofort den Kopf, als habe ihn Wariingas Stimme wie ein Speer ins Herz getroffen; er starrte in Wariingas dunkle Augen und begann, schneller und schneller zu reden; dabei machte er sich noch immer vor, er versuche nur, den Riß des Mitleids in Wariingas Herz zu erweitern.
    »Gib Gatuiria frei. Er ist mein einziger Sohn, den ich innig liebe, obwohl er ungeraten ist und versucht, seine eigenen, unabhängigen Wege zu gehen, anstatt in meine Fußstapfen zu treten. Und außerdem ist Gatuiria ja eigentlich wie ein Sohn von dir. Deshalb werden sich eure Pläne,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher