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Der geduldige Tod (German Edition)

Der geduldige Tod (German Edition)

Titel: Der geduldige Tod (German Edition)
Autoren: Helke Böttger
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Bettzeug. Am Kopfende befand sich ein Gestell, an dem eine Infusion hing, die in ihren Arm lief.
    Erschrocken wollte sich Victoria aufrichten, doch sie kam nicht weit. Ihre Hände waren am Bett fixiert.
    »Hilfe!«, rief sie mit krächzender Stimme. »Hilfe!«
    Victoria rief noch mehrere Male, aber offensichtlich konnte niemand sie hören. Der Knopf zum Rufen der Schwester lag außerhalb der Reichweite ihrer gefesselten Hände. Sie musste sich gedulden, bis man sich an sie erinnerte.
    Endlich betrat eine Schwester den Raum, um nach ihrer Infusion zu sehen.
    »Was mache ich hier?«, fragte Victoria auf Spanisch, »was ist passiert?«
    Die Schwester erwiderte etwas Unverständliches, dann verließ sie den Raum, um wenige Augenblicke später mit einem Arzt wiederzukehren. Der Mann war um die sechzig, trug eine dicke Brille, die er mit dem Zeigefinger immer wieder auf der Nase nach oben schob.
    »Sie bekommen ein Medikament, um Ihr Blut zur entgiften«, sagte er auf Deutsch. »Sie haben Glück, dass Sie noch rechtzeitig gefunden wurden.«
    »Was ist denn passiert?«
    »Sie können sich nicht erinnern?«
    Victoria schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß nur noch, dass ich ins Bett gegangen bin.«
    »Sie haben eine Überdosis Schlaftabletten genommen. Die Polizei hat Sie gefunden und hergebracht.«
    Erschrocken schüttelte Victoria den Kopf. »Ich habe nur eine einzige Tablette genommen, weil ich so aufgeregt war, mehr nicht. Das muss ein Irrtum sein.«
    »Nein, kein Irrtum. In Ihrem Blut war mehr als die gewöhnliche Dosis vorhanden. Die Polizei sagt, in Ihrem Schlafzimmer lag eine fast leere Packung der Tabletten.«
    »Ich brauche öfter mal eine Pille zum Einschlafen. Aber mehr als eine habe ich nicht genommen.«
    Der Arzt hatte offenbar genug von den Unschuldsbeteuerungen der Patientin, denn er wandte sich ab. »Sie bleiben vorerst hier, damit wir Sie weiter überwachen können.«
    »Nehmen Sie bitte die Riemen an meinen Händen ab«, bat Victoria.
    »Tut mir leid, aber die bleiben, bis ein Psychologe bestätigt hat, dass Sie nicht mehr selbstmordgefährdet sind.«
    Selbstmord? Das war völlig absurd! Victoria rief es dem Arzt hinterher, aber der reagierte nicht, sondern verließ gemeinsam mit der Schwester das Krankenzimmer und schloss die Tür hinter sich.
    Victoria zerrte mit den Händen an den Befestigungen, aber es half nicht. Der Widerstand verursachte lediglich Schmerzen an ihren Handgelenken. Schließlich gab sie auf und wartete. Es konnte nicht mehr lange dauern, dann musste der Psychologe kommen und allen bescheinigen, dass sie großen Lebenswillen besaß und sich niemals umbringen würde. Es hatte Momente in den vergangenen zwei Jahren gegeben, nach der »Katastrophe«, da hatte sie kurzzeitig darüber nachgedacht. Damals, als die Angst sie in der Wohnung gefangen hielt, war ihr das Leben hin und wieder sinnlos erschienen. Aber sich tatsächlich umzubringen, diesen Schritt hätte sie niemals fertiggebracht. Und erst recht nicht jetzt. Sie hatte nur eine Pille genommen, nicht die ganze Packung.
    Sie versuchte krampfhaft, sich einen Reim auf die Ereignisse zu machen, als sich die Tür erneut öffnete. Dieses Mal betrat ein anderer Arzt den Raum. Sein Gesicht war von einer chirurgischen Maske bedeckt, auf seinem Kopf saß eine Haube, auf der Nase eine dunkel getönte Brille, und er trug einen Chirurgenkittel. Er sah aus, als wolle er Victoria zu einer großen Operation abholen und trat wortlos an ihr Bett, um es samt Infusion aus dem Zimmer zu rollen.
    »Wohin bringen Sie mich?«, fragte sie panisch. »Was machen Sie?«
    Er lief hinter ihr, so dass sie ihn nicht sehen konnte, ohne sich den Hals zu verrenken. Zudem schien er sich noch besonders viel Mühe zu geben, sich außerhalb ihrer Sichtweite zu bewegen. Dennoch kam er ihr bekannt vor. Seine Bewegungen wirkten vertraut.
    »Wer sind Sie? Quién es usted? Wohin bringen Sie mich?«
    Der Mann antwortete nicht, sondern schob sie den Gang hinunter, dann in den Fahrstuhl. Victoria versuchte immer wieder, von ihm zu erfahren, was los sei, doch er schwieg beharrlich. Sie verdrehte sich im Bett, soweit es ihr mit ihren gefesselten Gliedern möglich war, um den Mann besser sehen zu können, doch sie schaffte nicht viel. Beunruhigt versuchte sie, einen anderen Arzt zu rufen, doch der sah ihr nur kopfschüttelnd hinterher.
    Im Erdgeschoss schob der Chirurg sie auf eine breite Tür zu, die sich von alleine öffnete, als sie sich ihr näherten. Schließlich befanden sie
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