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Der geduldige Tod (German Edition)

Der geduldige Tod (German Edition)

Titel: Der geduldige Tod (German Edition)
Autoren: Helke Böttger
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eine Seite des Restaurants war zum Meer hin geöffnet. Daran schloss sich eine Terrasse an, die zum Strand hinabführte. Es war relativ wenig los, zwei Pärchen saßen steif an den Tischen, vermutlich Polizeibeamte. Etwas gelangweilt standen zwei Kellner am Tresen, von denen Victoria ebenfalls vermutete, dass sie Polizisten waren. An einem großen Tisch in der Ecke hatte sich eine Familie mit drei Kindern niedergelassen, und davor saßen drei ältere Frauen beim Essen und sezierten ihren gebratenen Fisch.
    Victoria beschloss, einen Tisch auf der Terrasse zu nehmen. Hier konnte sie von Ronald am besten gesehen werden.
    Mit weichen Knien setzte sie sich und bestellte eine Cola. Alkohol wollte sie nicht trinken, um einen klaren Kopf zu bewahren, falls ihr Ex tatsächlich kommen sollte. Nachdem das Getränk serviert worden war, vertiefte sie sich in die Speisekarte, warf jedoch immer wieder aufmerksame Blicke auf den Strand und in das Restaurant, um zu sehen, wer sich ihr näherte.
    Zunächst geschah nichts. Sie trank ihre Cola, bestellte einen gegrillten Seefisch mit Reis und Gemüse und musste ein paar aufdringliche Händler abwehren, die ihr Uhren und Schmuck verkaufen wollten. Danach bestellte sie eine zweite Cola, dann eine dritte und ein Eis. Niemand kam und setzte sich zu ihr. Von Ronald war weit und breit keine Spur zu sehen.
    Sie warf einen verzweifelten Blick in das Lokal hinein, wo sich die beiden Polizistenpärchen offenkundig zu Tode langweilten. Sie lasen Zeitung und spielten mit den Salzstreuern.
    Gegen Mitternacht gab Victoria auf. Sie bezahlte die Rechnung und ging durch das fast leere Restaurant hindurch zur Strandpromenade. Dort herrschte noch reges Leben. Aus zwei Bars dröhnte laute Musik auf die Straße, in einigen Gaststätten wurde getanzt. Betrunkene liefen die Straße hinunter und riefen ihr anzügliche und obszöne Bemerkungen zu.
    Sie spürte, wie die Umgebung erneut an ihren Nerven zerrte. Die Dunkelheit bedrückte sie, die dunklen Hauseingänge, in denen der Tod warten konnte, verursachten Schweißausbrüche auf ihrer Haut. Sie versuchte, die Ruhe zu bewahren und begann, wieder zu summen, während sie sich bemühte, dem Treiben so schnell wie möglich zu entkommen. Hastig eilte sie auf die Bushaltestelle zu. Sie hätte gern mit der Kommissarin gesprochen, aber die war weit und breit nicht zu sehen. Das beängstigende Gefühl wich nicht aus ihrer Seele, auch nicht als sie einige Minuten unter einer flackernden Straßenlaterne warten musste, bis der nächste Bus kam. Immer wieder summte sie, kniff sich und sah sich aufmerksam um, ob sich ihr jemand nähern wollte. Doch niemand kam. Dafür entdeckte sie in einer Einfahrt den Wagen von Lucia Hernandez. Erleichtert atmete sie auf.
    Als der Bus kam, stieg sie ein und fuhr nach Hause. In ihren eigenen vier Wänden angekommen, lief sie wie ein Raubtier im Käfig auf und ab. Die Aufregung raste – in Kombination mit dem Liter Cola, den sie getrunken hatte – durch ihren Körper. Als sie auf die Uhr blickte, war es weit nach Mitternacht.
    Sie ging ins Schlafzimmer und zog sich aus. Doch sie war noch immer viel zu aufgewühlt, um zu schlafen. Deshalb nahm sie im Badezimmer eine Schlaftablette aus der inzwischen fast leeren Packung und spülte sie mit ihrem täglichen Glas lauwarmer Milch hinunter.
    Dann legte sie sich hin.
    Es dauerte nicht lange, da spürte sie, wie die Aufregung sich legte und die Müdigkeit von ihr Besitz ergriff. Ihre Glieder wurden schwer. Viel zu schwer. Ihr Körper fühlte sich wie Blei an. Sie konnte kaum noch ihre Beine heben, um sich im Bett umzudrehen. Dann spürte sie, wie sich ihre Atmung verlangsamte. Diese Wirkung war viel zu stark für eine simple Schlaftablette. Sie wollte Angst bekommen. Aber selbst das funktionierte nicht mehr. Es fiel ihr schwer, sich zu bewegen, zu denken, oder auch nur den kleinen Finger zu rühren. Sie konnte kaum noch die Augen öffnen. Jeder Gedanke, den sie fassen wollte, entglitt ihr und verschwand in einem dichten Nebel aus Müdigkeit. Nur wenige Augenblicke später verlor sie das Bewusstsein.
     
    Als Victoria zu sich kam, sah sie lediglich verschwommene Umrisse. Nichts schien vertraut, nicht einmal der Geruch und das Gefühl ihres Kopfkissens. Sie hatte einen unangenehmen Geschmack im Mund, ihr Hals schmerzte.
    Langsam klarten sich die Bilder vor ihren Augen auf, sie nahm eine weiße Tür, einen leeren Stuhl und einen Nachtschrank war. Sie selbst lag in einem Bett mit rauem, grauem
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