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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß
Autoren: Stanislaw Lem
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Rezeptionsangestellten, unterstützt von den Pförtnern. Vom Treppenabsatz aus warf uns jemand gebündelte Farbfotos an den Kopf, die genau belegten, was zwei oder auch beträchtlich mehr Personen unter dem Einfluß der Brunst miteinander anfangen können. Als die ersten Panzer auf der Straße aufkreuzten und durch die Glasscheiben bestens sichtbar waren, entquoll den Fahrstühlen ein ganzes Heer verschreckter Streichholzschachtelsammler und Gegenbewegler. Nach allen Richtungen stiebend, zertrampelten diese Ankömmlinge die bewußten Vorspeisen und Pasteten; die Verleger hatten das Zeug nämlich mitgebracht und den Fußboden der Hall damit vollgestellt. Brüllend wie ein wildgewordener Büffel, drängte sich der bärtige Antipapist durchs Gewühl. Mit dem Kolben der Päpstlerin schlug er alle, die ihm in die Quere kamen. Wie ich selbst mit ansah, lief er vors Hotel, nahm Deckung hinter einer Ecke und eröffnete das Feuer auf vorüberhuschende Schattengestalten. Diesem echten Verfechter radikalst ausgeprägten Extremistentums war sichtlich im Grunde einerlei, auf wen er schoß. In der Hall tosten Angstgeschrei und Wollustgeschrei, und ein wahrer Hexenkessel entstand, als mit glasigem Rasseln die ersten riesigen Fensterscheiben zersprangen. Ich suchte meine Bekannten von der Presse. Als ich sah, daß sie auf die Straße hinausschlüpften, folgte ich nach, denn im Hilton wurde die Atmosphäre schon allzu erdrückend. Hinter dem Betonrand der Auffahrt, noch unter dem vorspringenden Hoteldach, knieten ein paar Bildreporter und filmten verbissen die Gegend, im übrigen ohne viel Sinn, denn vom Parkplatz des Hotels stoben Flammen und Rauchwolken auf; Autos mit ausländischen Kennzeichen waren wie üblich als erste in Brand gesteckt worden. Mauvin von AFP, der sich neben mir vorfand, lachte sich ins Fäustchen, weil er im Hertzschen Mietauto angereist war. Er reagierte mit Heiterkeitsausbrüchen auf den Anblick seines im Feuer brutzelnden Dodge; von den meisten amerikanischen Journalisten ließ sich derlei nicht behaupten. Mir fiel auf, wer den Autobrand zu löschen versuchte. Zumeist waren es ärmlich gekleidete alte Leutchen. In kleinen Eimern holten sie Wasser vom nahen Springbrunnen. Dies allein genügte, um mich stutzig zu machen. Undeutlich glitzerten Polizeihelme in der Ferne, an den Ausmündungen der Avenida del Salvation und der Avenida del Resurrection. Der Platz vor dem Hotel lag übrigens in diesem Augenblick verödet, ebenso wie die anschließenden Rasenflächen mit den dickstämmigen Palmen. Heiser feuerten die alten Leutchen einander zum Rettungswerk an, obwohl ihre matten Beine vor Altersschwäche zusammenknickten. Solche Hingabe kam mir schlechthin erstaunlich vor, bis ich mich mit eins auf die vormittäglichen Erlebnisse besann und meinen Verdacht sofort Mauvin anvertraute. Den Gedankenaustausch erschwerten das Geknatter der Schnellfeuerwaffen und der Baßton der Explosionen, der es immer wieder übertönte; eine Zeitlang las ich in dem klugen Gesicht des Franzosen vollkommene Verständnislosigkeit, doch plötzlich funkelten seine Augen auf. »Ah« – röhrte er, das Getöse überbrüllend. »Das Wasser, ja? Das Wasserleitungswasser? Großer Gott, erstmals in der Geschichte … Kryptochemokratie!« Sprach’s und lief ins Hotel, wie von der Tarantel gestochen. Natürlich wollte er sich dort ans Telefon hängen; daß die Verbindung noch bestand, war ohnehin verwunderlich. Als ich so auf der Rampe stand, gesellte sich Professor Trottelreiner zu mir, einer aus der Schweizer Futurologengruppe. Und nun geschah, was eigentlich längst fällig war: eine entwickelte Sperrkette von Polizisten mit Gasmasken, schwarzen Helmen, schwarzen Brustschilden und schußbereiter Waffe umstellte den ganzen Hilton-Komplex, um der Volksmenge zu trotzen, die just zwischen unserem Standort und den Bauten des Stadttheaters aus dem Park hervortauchte. Spezialeinheiten richteten mit großer Geläufigkeit die Minenwerfer, und ihre ersten Salven trafen die Menge. Die Explosionen waren merkwürdig schwach, entfesselten aber riesige weißliche Rauchwolken. Anfangs vermutete ich Tränengas; doch statt zu fliehen oder mit Wutgeheul zu antworten, strebte die Menge deutlich in diese Dunstschwaden hinein. Die Schreie verebbten rasch, dafür vernahm ich etwas wie Litaneien oder Singbetereien. Presseleute zappelten mit Kameras und Tonbandgeräten zwischen Sperrkette und Hoteleingang umher und zermarterten sich das Hirn, was da wohl im Gange sei.
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