Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
rußiger Butter nach, denn Wasser mied ich wie die Pest. Dann würgte ich mit Mühe zwei Koffeinpastillen hinunter, um dem Schlafmittel entgegenzuwirken, setzte mich in den Lehnstuhl und wartete voll Angst, aber auch voll Nächstenliebe auf den Ausgang des chemischen Kampfes in meinem Organismus. Die Liebe vergewaltigte mich immer noch. Ich war begütigt wie nie zuvor. Offenbar gewannen dann die Chemikalien des Übels einen entscheidenden Vorteil über die Präparate des Guten; ich war weiterhin zu fürsorglichem Wirken bereit, aber nicht mehr wahllos. Freilich wäre ich zur Vorsicht gern der ärgste Schuft gewesen, zumindest für einige Zeit. Nach einer Viertelstunde schien alles überstanden. Ich nahm eine Dusche, rieb mich mit dem rauhen Handtuch trocken, haute mich vorsichtshalber zwecks allgemeiner Vorbeugung hin und wieder in die Fresse, klebte Heftpflaster auf die verletzten Finger und Knöchel, zählte die blauen Flecke (da ich mich im Kampf richtig windelweich geschlagen hatte), legte ein frisches Hemd und den Anzug an, richtete vor dem Spiegel die Krawatte, zupfte den Gehrock zurecht, boxte mich beim Aufbruch ermunternd und zugleich vorsorgend zwischen die Rippen und ging beizeiten fort, denn es war schon fast fünf. Wider meine Erwartung bemerkte ich im Hotel nichts Ungewöhnliches. Ich schaute in das fast verödete Büffet meines Stockwerks. An einem Tisch lehnte die Päpstlerin; unter der Theke ragten zwei Paar Beine hervor, eines davon bloßfüßig, aber dieser Anblick war nicht unbedingt im Rahmen höherer Kategorien zu deuten. Einige andere Dynamitleute saßen an der Wand und spielten Karten, einer spielte Gitarre und sang den bewußten Schlager. Unten in der Hall wimmelte es von Futurologen. Sie gingen zur Eröffnungssitzung, ohne im übrigen das Hilton verlassen zu müssen; für die Debatten war nämlich ein Saal im niedrigen Teil des Bauwerks gemietet worden. Zunächst wunderte ich mich, doch ich besann mich und begriff, daß in einem solchen Hotel niemand Leitungswasser trinkt. Durstige Gäste bestellen Cola oder Schweppes, notfalls Fruchtsäfte, Tee oder Bier. Auch zu Long Drinks benützt man bitteres Mineralwasser oder sonst etwas in Flaschen Abgefülltes. Und wer etwa trotzdem achtlos meinen Fehler wiederholt hatte, wand sich nun gewiß in Zuckungen allliebenden Selbstvergessens zwischen den Wänden eines versperrten Appartements. In dieser Sachlage wollte ich lieber mit keinem Muckser auf meine Erlebnisse anspielen; ich war ja fremd am Ort; die Leute hätten mir womöglich nichts geglaubt, sondern Abwegigkeiten oder Wahnvorstellungen bei mir vermutet. Was erwirbt man sich leichter als den Ruf, man hätte eine Schwäche für Rauschgift? Wegen dieser Austern – oder Vogelstraußpolitik sind mir später Vorwürfe gemacht worden: ich hätte alles aufdecken sollen, dies hätte die bewußte Unglücksserie vielleicht abgewendet … Doch wer so redet, zieht einen augenfälligen Trugschluß. Bestenfalls hätte ich die Hotelgäste gewarnt. Die Vorgänge im Hilton hatten aber nicht den mindesten Einfluß auf Costricanas politische Geschicke. Bei einem Kiosk auf dem Weg zum Sitzungssaal kaufte ich meiner Gewohnheit gemäß einen Stapel einheimischer Zeitungen. Natürlich mache ich es nicht überall so. Doch im Spanischen kann der Gebildete den Sinn ungefähr erschließen, auch ohne diese Sprache zu beherrschen. Über dem Podium prangte eine bekränzte Tafel mit der Tagesordnung. Den ersten Punkt bildete die urbanistische Weltkatastrophe, den zweiten die ökologische, den dritten die atmosphärische, den vierten die energetische, den fünften die der Ernährung, dann sollte eine Pause folgen. Technologische, militaristische und politische Katastrophe sowie Anträge außer Programm waren für den nächsten Tag vorgesehen. Jeder Redner hatte vier Minuten Zeit, um seine Thesen darzulegen. Das war ohnehin viel, wenn man bedenkt, daß 198 Referate aus 64 Staaten angemeldet waren. Um das Beratungstempo zu steigern, mußte jeder die Referate selbständig vor der Sitzung durchstudieren; der Vortragende aber sprach ausschließlich in Ziffern, die auf Kernstücke seiner Arbeit verwiesen. Um derlei reiche Sinngehalte leichter aufzunehmen, schalteten wir samt und sonders die mitgeführten Tonbandgeräte und Kleincomputer ein, welch letztere nachher die grundsätzliche Diskussion bestreiten sollten. Stanley Hazelton aus der Abordnung der USA schockierte sofort das Auditorium, denn er wiederholte nachdrücklich: 4, 6,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher