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Der Fürst der Skorpione

Der Fürst der Skorpione

Titel: Der Fürst der Skorpione
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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ging immerhin noch. »Nein«, sagte er, und begann hektisch in seinem kleinen Behandlungszimmer hin- und herzulaufen. »Nein, nein, nein! Nicht bewegen!« Dann hielt er einen Injektor in der Hand, wie sie ihn von ihrer ersten Begegnung schon kannte. Sie schäumte vor Wut. »Willst du mich jetzt ganz umbringen, du Scheißkerl?« Mit ihren Armen wollte sie sich von ihm wegschieben, aber es war hoffnungslos. Er brauchte sich nur hinzuknien und ihr den Schuss in die Schulter zu verpassen. Etwa fünf Minuten lang passierte nichts. Dann begann es in ihren Schenkeln zu kribbeln, und Stück für Stück kehrte die Kontrolle über ihre Beine zurück. Sobald sie das Gefühl hatte, sie könne stehen, rappelte sie sich hoch. Um nicht zu stürzen, musste sie sich an einem Arbeitstisch festhalten. Madjid stand mit dem Rücken zu ihr und ordnete Reagenzgläser in einen Schrank ein. »Da kannst du ja richtig stolz auf dich sein«, keuchte sie. »Ich kann meine Beine wieder bewegen. Gratulation.« Madjid drehte sich um und verschränkte seine Arme vor der Brust.
    »Jetzt hör mir mal gut zu. Die ganze Zeit tust du so, als wärst du moralisch so was von überlegen. Ich darf dich daran erinnern, dass du uns alle hier durch deine Flucht in Gefahr gebracht hast. Wir können froh sein, dass wir noch leben, du übrigens auch. Meinst du, die EF würde noch große Unterschiede zwischen dir und uns machen? Meinst du vielleicht, die würden dich befreien? Was weißt du schon vom Krieg und von der EF! Vielleicht hast du ein paar Träume gesehen und Dubb hat dir vielleicht ein bisschen was erzählt, aber du hast noch nie auf einem Marktplatz gestanden, der nur so übersät ist von Leichen, weil kurz vorher die EF da aufgeräumt hat. Du hast keine Ahnung, wie das aussieht, wenn zwei oder drei Kugelblitze ein ganzes Dorf vernichten, in Sekundenschnelle, sodass man nur noch verkohlte Überreste findet, von denen man nicht weiß, ob sie von einem Gegenstand, einem Tier oder einem Menschen stammen. Ich könnte dir Bilder zeigen, da würdest du nur noch kotzen. So was hab ich als Dorfarzt jede Woche gesehen, bevor ich mich dem Widerstand angeschlossen habe, und ich kann dir sagen, dagegen ist die Deaktivierung von zwei Neuroports ein Kinkerlitzchen. Du hast Scheiße gebaut und jetzt musst du die Konsequenzen tragen, das ist alles.« Madjids Wut verunsicherte sie. Aber auch sie war wütend. Hatte dieser Kerl ihr doch kaum zehn Minuten vorher die Beine weggehauen, und jetzt stand er da und wollte ihr erklären, wie ungezogen sie gewesen war!
    »Erstens«, sagte sie und ihre Stimme bebte, »habe ich vor ein paar Stunden gesehen, was deine Freunde hier mit den Banditen angestellt haben. Und zweitens hat mich nie einer gefragt, ob ich bei eurer beschissenen Revolution mitmachen will. Wegen mir könnt ihr alle zur Hölle fahren. Ihr seid kein bisschen besser als die ER.«
    Dann drehte sie sich um und wankte zur Tür hinaus. Draußen standen tatsächlich zwei Tuareg und nahmen sie sofort in die Mitte. Dass sie immer wieder auf ihren wackeligen Beinen einzuknicken drohte, fanden sie offenbar komisch.
    In den Zellentrakt wurde sie eher hineingeschoben als eingelassen, und als sich die eiserne Tür hinter ihr schloss, war es so dunkel, dass sie zunächst nur Umrisse erkennen konnte. Dafür roch es umso stärker nach Urin, Stroh und Moder. Und es war erstaunlich kalt. Genau so hatte sie sich immer ein Burgverlies vorgestellt. Stück für Stück gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Sie stand auf der obersten Stufe einer kurzen, aber steilen Treppe. Hinter ihr befand sich eine geschlossene Eisentür, dahinter zwei Wachen mit Mitrailleusen. Der einzige Weg ging nach unten. Ihre Beine waren immer noch schwach, deswegen musste sie vorsichtig sein. Zögerlich stieg sie die Treppe hinab.
    »Wer ist da?«, sagte eine raue Stimme.
    Am Fuß der Treppe sah sie in eine offene, leere Zelle mit Bett, Tisch und Stuhl. Sie ging hinein und schaltete als Erstes die kleine Lampe auf dem Tisch ein. Die Funzel war erbärmlich, aber immerhin spendete sie ein wenig Licht. Sie roch an dem zerwühlten Bettzeug. Es war offenbar lange nicht gewaschen worden.
    »Wer ist da?«, fragte dieselbe Stimme noch einmal. Was sollte sie tun? Niemand hatte ihr verboten, mit den Gefangenen zu sprechen. Sie würde diesen Männern täglich ihr Essen bringen und ihre Nachttöpfe ausleeren. Also konnte es nicht schaden, sie kennen zu lernen.
    In der Nachbarzelle standen drei Gefangene am Gitter,
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