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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb
Autoren: Ellis Peters
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beiden Knappen auf ihn zutraten und die Hände ausstreckten – nicht nach ihm, sondern nach Zügeln und Tasche. Völlig aussichtslos, in den Sattel zu springen und aus dem geschlossenen Ring auszubrechen. Aber die jungen Männer hatten die Zügel ihrer eigenen Pferde losgelassen, um Bénezet zu ergreifen, und eines der Pferde stand artig wartend etwas abseits von der erregten Gruppe, einige Fuß näher zum Tor hin.
    Zornig schnaubend löste Bénezet den Arm von seiner Beute, versetzte seinem erschrockenen Tier einen heftigen Tritt unter den Bauch, so daß es sich mit einem empörten Wiehern aufbäumte. Die Gesellschaft konnte noch rechtzeitig zur Seite springen, um den gefährlichen Hufen auszuweichen, während Bénezet nach dem Zügel des bereitstehenden Pferdes griff und, ohne sich der Steigbügel zu behelfen, in den Sattel sprang.
    Niemand war nahe genug, um Zügel oder Steigbügelleder zu ergreifen. Bénezet sprengte davon, noch bevor ein anderer aufsitzen konnte, und kehrte der Gruppe brüllender Männer und scharrender Pferde den Rücken. Er ritt nicht geradewegs auf das Tor zu, sondern machte einen Schlenker an die Stelle, wohin Daalny sich aus einer Gefahr zurückgezogen hatte, um sich doch nur in die nächste zu begeben. Er hatte seinen kurzen Degen aus der Scheide gezogen, dessen Klinge aufblitzte.
    Sie sah erst im letzten Augenblick, was er im Schilde führte.
    Er gab keinen einzigen Laut von sich, aber Cadfael, der verzweifelt herbeistürzte, um sie vor den fliegenden Hufen zu retten, sah das Gesicht des Reiters ganz deutlich. Auch Daalny sah es: Die einst gleichgültigen Züge hatten sich in eine Maske aus Haß und Zorn verzerrt, die Lippen hatte Bénezet hochgezogen wie ein in die Enge getriebener Wolf. Es blieb ihm nicht die Zeit, sie niederzureiten, ohne daß es ihn zu sehr aufgehalten hätte. Also lehnte er sich im Galopp aus dem Sattel, und der Degen schlitzte Daalnys Ärmel auf, von der Schulter bis zum Ellenbogen, und ließ eine Schramme zurück.
    Daalny sprang mit einem Satz zurück und fiel auf die Pflastersteine. Bénezet aber sprengte auf und davon, zum Tor hinaus, in Richtung Stadt.
    Hugh Beringar, sein Stellvertreter und drei seiner Soldaten kamen gerade über die Brücke geritten. Bénezet erblickte sie, zögerte, riß die Zügel herum und lenkte sein Pferd auf den schmalen Pfad, der links zwischen Mühlteich und Fluß verlief und in südwestlicher Richtung durch den Großwald und dann weiter auf schnellstem Wege nach Wales führte.
    Die Männer aus der Stadt verstanden zunächst nicht, was es mit dem Flüchtigen auf sich hatte, daß aber ein Reiter aus dem Hof der Abtei auf die Brücke zugesprengt kam, bei ihrem Anblick zurückscheute, um unvermindert stürmisch in einen Seitenweg einzubiegen, war etwas, das es wert war, überdacht oder, besser noch, verfolgt zu werden, und so bellte Hugh:
    »Folgt ihm!«, noch bevor der jüngere der beiden Knappen, der aus dem Tor in die Vorstadt gerannt kam, schreien konnte:
    »Faßt ihn! Er ist des Diebstahls verdächtigt!«
    »Bringt ihn zurück!« befahl Hugh, und seine Offiziere gaben ihren Tieren die Sporen und nahmen im Galopp die Verfolgung auf.
    Daalny hatte sich wieder hochgerappelt, noch bevor Cadfael sie erreichte, wandte sich ab und rannte blindlings fort von dem Tumult, von dem Schreckgespenst, das sich in mörderischer Absicht aus dem Sattel zu ihr gebeugt hatte, und vor den Folgen dieses Schreckens, die sie zittern ließen, jetzt, da das Schlimmste vorbei war. Denn das war nun sicher. Warum sonst war Bénezet um sein Leben gelaufen, ohne seine Satteltasche zu öffnen? Sie wußte zwar noch immer nicht, was er darin verborgen hatte, aber sie wußte, daß es etwas Mörderisches sein mußte. Sie floh in die Kirche wie ein heimkehrender Vogel.
    Sollten die anderen den Rest erledigen, sie hatte ihre Rolle gespielt. Sie hatte jetzt keinen Zweifel mehr, daß sich alles zum Guten wenden würde. So ließ sie sich auf den Stufen des Altars der heiligen Winifred nieder, wo alles begann und alles endete, und lehnte den Kopf an den Stein.
    Cadfael war ihr gefolgt, blieb aber stehen, als er sie dort gewahrte, wie sie still und mit weit geöffneten Augen dasaß, den Kopf erhoben, als lauschte sie einer Stimme – oder einer Erinnerung. Nach dem ganzen Wirrwarr war die jetzige Stille, die plötzliche Ruhe furchteinflößend. Sie hatte es schon beim Eintreten gespürt, und Cadfael spürte es jetzt, als er sie, wie in Trance, am Altar sah.
    Er näherte sich
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