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Der Fromme Dieb

Der Fromme Dieb

Titel: Der Fromme Dieb
Autoren: Ellis Peters
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unbedingt nötig, um die Versammlung von Knechten und Pferden zu beobachten, wobei letztere unruhig mit den Hufen scharrten und es nicht abwarten konnten, sich endlich in Bewegung setzen zu dürfen. Die Novizen wurden zu ihrem morgendlichen Unterricht gescheucht, doch Bruder Paul würde sie im Moment des Aufbruchs wohl nicht bändigen können.
    In einen Umhang gehüllt und barhäuptig kam Daalny die Stufen des Gästehauses herab und mischte sich unter die Dienerschaft. Sie begutachtete den gleichmäßigen Sitz von Bénezets Satteltaschen, und an der Schramme unter den Schnallen, die sie sich gemerkt hatte, erkannte sie sofort, welche von beiden Taschen diejenige war, die ein besonderes Geheimnis enthielt. Sie ließ sie nicht aus den Augen, während Cadfael Daalny unbemerkt beobachtete. Ihr Gesicht war blaß; eigentlich wie immer, denn ihre Haut war weiß wie Magnolienblüten, doch jetzt überzog auch noch die eisige Blässe der Anspannung die schmalen, makellosen Wangenknochen. Ihre funkelnden Augen waren unter den langen, dunklen Wimpern halb verborgen. Cadfael nahm die Anzeichen von Nervosität und Schmerz wahr, und sie bekümmerten ihn, aber er wußte nicht recht, wie er sie deuten sollte. Sie hatte getan, was sie vorgehabt hatte, hatte Tutilo in eine Welt freigelassen, die besser zu ihm paßte als das Kloster.
    Nach einem kurzen Traum wieder ohne ihn in ihren unvermeidlichen Alltag hineinzufinden, mußte ihr unendlich schwerfallen, aber es ließ sich nun mal nicht ändern. Da er mit seinen eigenen Plänen beschäftigt war, vermochte er nicht zu erkennen, daß auch sie noch einen letzten Plan auszuführen hatte.
    Einer der jungen Knappen war ins Gästehaus zurückgekehrt, um zu berichten, daß alles bereitstehe. Auch wollte er Umhang und Handschuhe und was sonst noch als letztes hinauszuschaffen war für seinen Herrn herbeiholen, wie auch für dessen neuen, musikalischen Gefolgsmann, dessen Rang zweifellos irgendwo zwischen dem niederen Adel und weit über dem der Dienerschaft anzusiedeln war, wenn er auch noch nicht den Ruf eines walisischen Harfenspielers genoß. Jetzt erschienen die Herren in der Eingangstür des Gästehauses, und im selben Augenblick tauchte auch Abt Radulfus, stets bedacht, die Regeln der Höflichkeit streng einzuhalten, gefolgt von Prior Robert, in seinem Garten zwischen den noch kahlen und staksigen Rosenbüschen auf, um seinen scheidenden Gästen entgegenzueilen.
    Der Graf, elegant und schlicht wie immer, in gedeckten Farben und kostbarem Tuch: dunkelrote Beinkleider, kurz und bequem zum Reiten, und dazu ein graublauer Überrock, an den Schenkeln vorn und hinten geschlitzt. Nur selten bedeckte er sein Haupt, es sei denn gegen Wind, Regen oder Schnee, also fiel die Kapuze über seine erhabene Schulter und verdeckte den Buckel, obwohl ihm ein solch eitler Kunstgriff schwer zuzutrauen war, denn der Makel schien ihn nicht zu stören, noch schien der Buckel die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen zu beeinträchtigen. An seiner Seite ging Rémy de Pertuis, in Jubelstimmung, geistreiche Hofkonversation ins Ohr seines Herrn hauchend. Sie stiegen gemeinsam die Stufen hinab, gefolgt vom Knappen mit dem Umhang des Grafen über dem Arm.
    »Vater Abt«, sprach der Graf, »ich nehme nun, da die Zeit gekommen ist, mit großem Bedauern Abschied. Eure Gastfreundschaft war mehr als großzügig und, wie ich fürchte, ein wenig unverdient, da ich mit Ansprüchen auf Eure Heilige herkam. Doch ich bin froh, daß sie unter den vielen, die sie für sich begehrten, den geeignetsten und besten ausgewählt hat.
    Ich hoffe, Ihr schickt mir Euren Segen mit auf die Reise.«
    »Von ganzem Herzen, Euer Lordschaft«, rief Radulfus. »Ich hatte viel Freude an Eurer Gegenwart und auch Gewinn, und hoffe darauf, irgendwann noch einmal in ihren Genuß zu kommen, so Gott es will.«
    Die Gruppe, die einen Augenblick lang den Eindruck erweckt hatte, als wäre sie schon am Aufbrechen, ging plötzlich zu allgemeinen Höflichkeitsbekundungen über, die Besucher an den Tag legen, die sich auf einmal nur schwer trennen und mit vielen letzten Dingen verweilen, die unbedingt noch gesagt sein wollen. Da war Prior Robert plötzlich ganz der Normanne und ganz der Aristokrat, ja, sogar das Wohlwollen in Person, nachdem die Ereignisse ein so glückliches Ende genommen hatten. Und natürlich würde er einen normannischen Grafen nicht ziehen lassen, ohne seine Redekunst und seinen Charme bis zum letzten Augenblick auszuspielen. Und da war
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