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Der Fremde ohne Gesicht

Der Fremde ohne Gesicht

Titel: Der Fremde ohne Gesicht
Autoren: Nigel McCrery
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ihr Fleisch eingegraben hatte, dass die Schnur kaum zu erkennen war. Sharman blickte hinüber zu Sam, die bereits mitten in ihrem Bericht war. Sie war wirklich eine schöne Frau. Warum Adams sie für die Webber sitzen gelassen hatte, war ihm und den meisten anderen Kollegen ein Rätsel. Rebecca Webber mochte jünger sein, aber an Persönlichkeit konnte sie es mit Dr. Ryan nicht aufnehmen.
    Er wartete ab, bis sie fertig war. Lange würde sie nicht brauchen. Die Pathologin hielt sich nie lange am Tatort auf; das überließ sie anderen. Sie machte sich nur ein paar allgemeine Notizen, dann war sie wieder weg. Ihre eigentliche Arbeit erledigte sie in der Leichenhalle. Dr. Ryan bei einer Autopsie zu beobachten war so, als sähe man einer Künstlerin bei der Arbeit zu. Geschickt und zielsicher ging sie zu Werk und sie wusste, wie man das Gewöhnliche zum Außergewöhnlichen erhob. Als sie mit ihrem Kommentar fertig war, trat Sharman vor und schaute zu ihr hinüber.
    »Darf ich mir das mal näher anschauen, Dr. Ryan?«
    Sam blickte zu ihm auf. »Stan Sharman! Sie habe ich ja schon lange nicht mehr gesehen. Ich dachte, Sie hätten sich still und heimlich zur Ruhe gesetzt, wie die meisten Unruhestifter.«
    Sharman lächelte sie schief an. »Ohne mich würde die Truppe doch zusammenbrechen.«
    Sam mochte Sharman, ohne recht zu wissen, warum. Er war vermutlich einer der ungepflegtesten Männer, denen sie je begegnet war, und gewiss der ungeschliffenste. Sein Privatleben hielt offenbar auch keiner genaueren Überprüfung stand. Dennoch, die Art und Weise, wie er an seine Arbeit heranging, hatte etwas Aufrichtiges, das ihr gefiel. Außerdem hatte er eine der besten Aufklärungsquoten in der ganzen Truppe. Das gab selbst Adams zu, der aus seiner Abneigung gegen Sharman kein Hehl machte. Sie deutete auf die Leiche. »Nur zu, ich bin so gut wie fertig.«
    Sharman folgte ihrer Aufforderung und trat näher ans Bett. Die Schnur berührte er nicht, so viel verstand auch er von Spurensicherung, sondern hockte sich nur hin, um sie näher zu betrachten. Es war eine Garrotte. Er hatte schon etliche davon gesehen, zu viele für seinen Geschmack. Obwohl sie sehr eng um den Hals der Frau geschlungen war, konnte er den Knoten mit dem kleinen Stift erkennen, der ihrem Angreifer die Kontrolle über ihr Leben und schließlich über ihren Tod gegeben hatte. Schon eine winzige Drehung des Stiftes in diese oder jene Richtung zog die Schlinge entweder an oder lockerte sie und entschied somit, ob eine Person noch atmen konnte oder erstickte. Auf diese Weise konnte ein Angreifer stundenlang mit seinem Opfer spielen, bevor er ihm schließlich mit der letzten Drehung den Rest gab. Wie eine Katze, die mit der Maus spielte, bis sie sich zu langweilen begann und ihr den letzten, tödlichen Schlag versetzte. Es war eine schmerzhafte, qualvolle Todesart. Die Schnur sah billig aus, wie Wäscheleine. Er betrachtete die Schnüre um ihre Handgelenke; es war dasselbe Material. Oh ja, sie hatte gekämpft, aber ohne jede Chance. Die Schnüre waren straff und gut verknotet. Da hatte jemand etwas von seinem Handwerk verstanden.
    Sam bemerkte Sharmans Interesse an den Knoten.
    »Ein Rundtörn und zwei Mastwürfe. Unter Seglern verbreitet, nicht wahr?«
    Sie sah Sharman an, der zustimmend nickte. Beide Handgelenke wiesen Einschnitte auf, wo sich die Schnur tief ins Fleisch eingegraben hatte. Er untersuchte ihre Füße; sie waren auf ähnliche Weise vertäut. Sharman trat zurück, überblickte die ganze Szene und wurde nachdenklich. Einen Knebel hatte sie nicht im Mund, aber wer hätte sie hier draußen auch schreien gehört? Vielleicht war es dem Mörder gerade darum gegangen, sie schreien, um ihr Leben flehen zu hören. Aber wo waren die Bediensteten? Er konnte sich kaum vorstellen, dass sich ein Haus wie dieses von allein unterhielt, und Mrs. Clarke sah nicht aus wie eine Frau, die mit dem Einkaufswagen durch den nächsten Supermarkt zog. Ihm fielen ein paar gerötete Stellen auf ihren Brüsten und Brustwarzen auf. Er beugte sich über die Leiche. Brandmale. Jemand hatte sie als Aschenbecher benutzt und seine Zigaretten auf ihr ausgedrückt. Ähnliche Verletzungen hatte er schon Dutzende Male gesehen, besonders nach häuslichen Streitigkeiten, und viel zu oft an Kindern. Er schaute sich in dem Zimmer um. Die Reste der Schnur oder ein Zigarettenpäckchen waren nirgends zu sehen.
    Er sah Flannery an, der gerade wieder ins Zimmer gekommen war. »Haben Ihre Jungs
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