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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Autoren: Charlotte Link
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Wenn sie nur nicht so stammeln würde! Wenn ihr nur nicht die Tränen schon wieder so locker säßen!
    Der Mann trat wütend gegen den misshandelten Reifen, knurrte etwas Unverständliches – es klang ein wenig wie: »Blöde Kuh!« –, stieg wieder in seinen Wagen und knallte die Tür hinter sich zu. Karen fühlte sich von seinen bösen Blicken förmlich durchbohrt, als sie die Straße weiter entlangging, um endlich den Feldweg zu erreichen und hundert Meter weiter im Schutz des Waldes unterzutauchen. Ihre Augen brannten.
    Kein Grund zum Heulen, ermahnte sie sich, aber sie wusste, dass sie in wenigen Momenten schluchzen würde wie ein Schlosshund. Ihre Hände zitterten, und sie hatte weiche Knie. Was war nur los mit ihr? Warum heulte sie bei jeder Kleinigkeit? Aber warum passierten ihr auch immer wieder derlei Dinge? Der Nachbar, der sie anraunzte, weil sie ihr Auto ungeschickt geparkt hatte? Der fremde Mann, der sie blöde Kuh nannte, weil ihr Hund sein Auto entweiht hatte? Oder war es ganz anders? Passierten solche Dinge anderen Menschen auch, aber sie wussten sich besser dagegen zu wappnen?
    Andere haben ein stärkeres Selbstwertgefühl, dachte sie, während die ersten Tränen über ihre Wangen rollten, und deshalb erschüttert es sie nicht bis ins Mark, wenn sie abfällig behandelt werden. Es perlt an ihnen ab.
    Aber sie würde das nie in den Griff bekommen. Nie, es war hoffnungslos.
    Sie kauerte sich nieder, schlang beide Arme um Kenzo, drückte ihre Nase in sein etwas stacheliges, dunkelbraunes Fell mit dem vertrauten Geruch und weinte. Vergoss wieder einmal Ströme von Tränen und war nur dankbar für den warmen, festen Körper des Hundes, der ihr ein wenig Trost und Halt gab.

    Denn Wolf würde wieder bloß die Augen verdrehen, wenn sie nachher verheult beim Frühstück saß. Die Kinder würden betreten zur Seite schauen.
    Als Ehefrau und Mutter war sie zweifellos dabei, sich zur Katastrophe zu entwickeln.

Mittwoch, 21. Juli
    1
    Inga trottete hinter Marius über die brütend heiße Dorfstraße, und nicht zum ersten Mal, seitdem sie mit ihm zusammen – und seit zwei Jahren sogar verheiratet – war, fand sie, dass er rücksichtslos mit ihr umging. Und ebenfalls nicht zum ersten Mal drängte sich ihr die Erkenntnis auf, dass sie dennoch bei ihm bleiben würde, weil sie mit irgendeiner Ader ihres vernünftigen, bodenständigen Wesens die chaotische Verrücktheit liebte, die typisch für ihn war und der sie es zu verdanken hatte, dass sie immer wieder in Situationen wie der augenblicklichen landete. Er war eben nicht einfach nur rücksichtslos gegen sie, er war im gleichen Maß rücksichtslos gegen sich selbst, und diese Rücksichtslosigkeit entsprang seiner völligen Unfähigkeit, irgendwelche Dinge zu planen, zu durchdenken, Risiken abzuwägen und unter Umständen von einem tollen Plan Abstand zu nehmen, weil seine Nachteile die Vorteile überwogen.
    Und am Ende, dachte sie, schwankend zwischen Wut und Resignation, landet man dann bei fast vierzig Grad im Schatten auf einer staubigen Dorfstraße – ohne Schatten – irgendwo in Südfrankreich und weiß nicht, ob leben oder sterben besser wäre! Es ist so verdammt typisch für diesen Mann!
    Sie blieb stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie trug ein ärmelloses T – Shirt, das wie ein nasser Lappen an ihr klebte, und zerknitterte Shorts, die sie sich am
liebsten vom Leib gerissen hätte, weil ihr darin zu warm war. Am liebsten wäre sie in ihrer Unterhose weitermarschiert, aber obwohl sie sich dicht am Verenden glaubte, siegte in dieser Frage noch ihr Schamgefühl. Noch! Sie konnte sich durchaus vorstellen, in absehbarer Zeit völlig nackt dazustehen und sich einen Dreck darum zu scheren, was die Leute von ihr dachten.
    »Kann ich noch einen Schluck Wasser haben?«, fragte sie. Es mochten erst an die zehn Minuten vergangen sein, seitdem sie zuletzt etwas getrunken hatte, aber schon wieder klebte ihre Zunge am ausgedörrten Gaumen, und vor ihren Augen flimmerte es.
    Es sind wahrscheinlich nicht vierzig, sondern um die fünfzig Grad hier auf dieser Straße, dachte sie.
    Marius drehte sich um. Er schleppte, genau wie Inga, seine Campingausrüstung auf dem Rücken, hatte sich aber erboten, zusätzlich den Proviant zu übernehmen. Wobei dieser nicht mehr viel hermachte; auch in dieser Hinsicht waren sie äußerst leer gebrannt.
    »Wir haben kaum noch etwas zu trinken «, sagte er, »vielleicht sollten wir noch etwas warten mit dem nächsten
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