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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Autoren: Charlotte Link
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deinem Antrittsbesuch so unfreundlich zu dir war!« Die letzten Worte hatte er auf affektierte Weise betont. »Du läufst herum mit der Miene eines ständig verheulten Opferlammes, Karen, und vielleicht ist es ganz einfach das, was die Menschen herausfordert, schlecht mit dir umzugehen!«
    Konnte es sein, dass er Recht hatte?
    Sie und Kenzo waren in eine Straße eingebogen, an deren Ende man über ein kurzes Stück Wiese in den Wald gelangen konnte. Kenzo blieb an einem Gartenzaun stehen und schnüffelte interessiert; Gelegenheit für Karen, kurz zu verschnaufen. Obwohl das Laufen ihr gut tat, war sie schon wieder bei ihren quälenden Grübeleien angelangt, die fast alle dazu angetan waren, sie in ihrer eigenen Meinung über sich abzuwerten. War Opfer sein kein Zufall? Forderte man es selber heraus? Verhielt sie sich auf eine Weise, die andere einlud, sie schlecht zu behandeln?
    Unterwürfig, ängstlich, abhängig von fremden Meinungen, ohne Selbstbewusstsein.

    Wolf würde jetzt sagen: Ändere es, dachte sie. Aber hat er eine Ahnung, wie schwer es ist, sich selber an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen?
    Nein, ein Mann wie Wolf konnte sich die Sorgen und Nöte, in denen Karen praktisch ständig schwebte, nicht im Entferntesten vorstellen. Er ging einfach seinen Weg, unbeirrt und gradlinig und ohne sich ständig in Frage zu stellen. Er kannte den Zustand nicht, permanent mit sich selber unzufrieden zu sein. Und es war wohl leider wirklich eine unheilvolle Spirale: Sie kritisierte sich selbst, deswegen taten es auch die Menschen um sie herum, was sie wiederum in ihrer schlechten Ansicht über sich bestärkte. Wo sollte ein solcher Weg enden?
    Ganz sicher nicht in einer starken, unabhängigen, selbstsicheren Frau, dachte sie kleinlaut, eher in einer, die immer ängstlicher und neurotischer wird und sich vor allem und jedem fürchtet.
    Kenzo konnte bereits den Waldweg vor sich sehen und zerrte heftig an der Leine. Karen ließ ihn los, und er trabte fröhlich davon. Wenige Meter bevor er den kleinen Feldweg erreichte, blieb er jedoch stehen und hob sein Bein am hinteren Reifen eines parkenden Autos.
    Oh, verflixt, dachte Karen, hoffentlich hat das keiner gesehen! Meine Güte, hätte er nicht die zehn Meter noch warten können?
    Sie sah sich schuldbewusst um, dankbar dafür, dass zu dieser frühen Stunde noch niemand wach war. Kenzo hatte sich natürlich das repräsentativste aller hier abgestellten Autos ausgesucht: einen dunkelblauen, sehr gepflegten BMW. Und zu Karens Entsetzen öffnete sich plötzlich die Fahrertür und ein Mann stieg aus. Ein sehr gediegen aussehender Mann in Anzug und Krawatte. Er wirkte ausgesprochen wütend.

    »Was, zum Teufel, fällt denn Ihrem Hund ein?«, blaffte er Karen an.
    Sie rief Kenzo sofort zu sich, damit er den Fremden nicht auch noch freudig begrüßen und seinen Anzug dabei ansabbern konnte, und nahm ihn wieder an die Leine. Hätte sie ihn bloß erst am Waldrand losgelassen! Aber wer konnte ahnen, dass er plötzlich ein Auto mit einem Baumstamm verwechseln würde? Und dass dort drinnen auch noch vor Tau und Tag jemand sitzen würde?
    Was macht dieser Mann da nur zu dieser Uhrzeit?, dachte sie unglücklich. Aber im Grunde war das unerheblich. Er war jedenfalls richtig sauer auf sie, und sie fing schon wieder an zu zittern, weil jemand – sie konnte Wolfs süffisante Stimme förmlich hören – unfreundlich zu ihr war.
    » Es … es tut mir Leid«, stotterte sie. Sie wusste, dass sie wie ein abwechselnd rot und blass werdendes Schulmädchen wirkte und nicht wie eine erwachsene Frau von fünfunddreißig Jahren. »Er … er hat so etwas noch nie gemacht … ich verstehe auch nicht, wie …«
    Der Mann funkelte sie drohend an. »Nein, ich verstehe das auch nicht! Wenn man seinen Hund nicht in den Griff kriegen kann, sollte man sich Meerschweinchen halten!«
    » Wie gesagt, er hat noch nie …«
    » Noch nie! Noch nie! Davon kann ich mir nichts kaufen. Was interessiert mich, was Ihr Hund angeblich noch nie getan hat? Mein Auto jedenfalls hat er auf widerliche Art beschmutzt! «
    Karen musste daran denken, dass sie einmal gelesen hatte, Männer würden ihre Autos als einen Teil von sich selbst empfinden, gewissermaßen als Verlängerung ihres wichtigsten Teils, und so gesehen hätte Kenzo die Erektion des Fremden angepinkelt … Kein Wunder, dass der durchdrehte.
    » Wenn er irgendetwas beschädigt hat … wir haben eine
Haftpflichtversicherung, und ich würde gerne für die Kosten …«
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