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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Autoren: Charlotte Link
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zumindest an seiner Freude gefreut und versucht, die Beunruhigung in sich nicht überhand nehmen zu lassen. Es hatte ihr kein Gefühl des Triumphs vermittelt, sie nur mit einer leise seufzenden Resignation erfüllt, als sich herausstellte, dass Marius’ Bekannter sein Auto nun doch nicht herausrücken wollte, und dass es lediglich bei der versprochenen Campingausrüstung blieb, die bereits den kleinen Wohnungsflur verstellte, als Inga nach Hause zurückkam.
    »Das ist ihm zu heikel mit dem Auto«, hatte Marius erklärt, »wegen der Versicherung und so …«
    Eben. Genau so etwas hatte ihr von Anfang an geschwant. Aber wenigstens hatten sie ein funkelnagelneues Zelt und fantastische Schlafsäcke, tolle Rucksäcke, und auch das Geschirr wurde höchsten Ansprüchen gerecht. Die Campingausrüstung schien noch nie benutzt worden zu sein und war eindeutig vom Allerfeinsten.
    »Der Typ hat aber eine Menge Kohle«, meinte Inga.
    Marius zuckte mit den Schultern. »Reiche Eltern. Man hat eben Glück oder nicht.«
    An diesen Ausspruch musste Inga denken, an diesem Mittag auf der heißen Dorfstraße, als sie meinte, vor Durst verrückt zu werden und den Schmerz, den die Blasen an ihren Füßen verursachten, nicht länger auszuhalten. Glück hatten sie beide jedenfalls auf dieser Reise nicht, wenn auch Marius das wohl ganz anders sehen würde. Sie waren rasch vorangekommen,
das musste sie zugeben. Am späten Nachmittag des Vortages waren sie aufgebrochen, denn Marius, der während der Ferien bei einer Spedition jobbte, hatte noch gearbeitet. Ein junges Paar hatte sie bis Lyon mitgenommen, aber sie waren dort um drei Uhr in der Nacht angekommen, hatten in völliger Dunkelheit ihr Zelt auf einem verdreckten Campingplatz am Stadtrand aufbauen müssen, und Inga war so müde gewesen, dass sie hätte heulen können. Sie hatten knapp drei Stunden geschlafen und sich dann an der Autobahnauffahrt die Füße in den Bauch gestanden. Wer nahm schon gerne zwei Leute mit, die solche Mengen an sperrigem Gepäck mit sich führten? Zuletzt hatte eine junge Französin mit einem Kleinkind auf dem Rücksitz sich ihrer erbarmt, aber sie hatte sie nicht wirklich weit mitnehmen können, weil sie ihre Mutter in einem Einsiedlerhof besuchen und dort einige Tage bleiben wollte. Sie hatte sie an einer Weggabelung aussteigen lassen und gemeint, bis zum nächsten Dorf würden sie eine knappe halbe Stunde brauchen, aber tatsächlich waren sie dann über eine Stunde unterwegs gewesen. Und befanden sich nun völlig abseits der Autobahn, aber es hatte dort gerade weit und breit keinen Rastplatz gegeben, und es war klar gewesen, dass sie unbedingt frisches Wasser kaufen mussten.
    »Wir hätten uns doch am letzten Parkplatz absetzen lassen sollen«, sagte Inga.
    »Ja, aber so sind wir gut zwanzig Kilometer weitergekommen. «
    »Na und? Was nützt uns das denn? Hier kommt wahrscheinlich überhaupt niemand mehr vorbei, der weiter fährt als bis zum nächsten Dorf. Was bedeutet, wir müssen zur Autobahn zurücklaufen, und das sind mindestens fünf Kilometer. Bei dieser Hitze…«
    Ihre Stimme schwankte, und sie sprach vorsichtshalber nicht weiter. Sie konnte an Marius’ Gesicht sehen, dass er
Angst davor hatte, sie könnte wirklich zu weinen beginnen, denn ihre Tränen machten ihn stets hilflos und unglücklich. Wobei sie nicht oft weinte, sogar nur äußerst selten. Im Augenblick jedoch …
    Die Erschöpfung, dachte sie, wenn ich jetzt losheule, dann vor allem aus Erschöpfung. Ich kann nicht mehr. Ich kann einfach nicht mehr.
    Sie löste die Schnürsenkel ihrer dicken Turnschuhe. Als sie die Schuhe langsam von den Füßen zog, wimmerte sie vor Schmerzen. Vorsichtig rollte sie die Socken herunter. Dicke, feuerrote Blasen kamen zum Vorschein.
    »Ich brauche eine Apotheke«, sagte sie, dabei war ihr klar, dass es noch schwieriger sein dürfte, in diesem Dorf eine Apotheke aufzutreiben als einen Lebensmittelladen. Wenn es überhaupt eine gab.
    Eher nicht. Die erste Träne löste sich und rollte über ihre heiße, gerötete Wange.
    »Nicht!« Marius war sofort neben ihr, fing mit dem Finger die Träne auf. »Nicht weinen. Hör mal, es war nicht klug, die Schuhe auszuziehen. Jetzt kommst du garantiert nicht mehr hinein.«
    »Ich brauche eine Salbe. Und Pflaster. Das entzündet sich sonst.«
    »Das sieht ja wirklich schlimm aus«, sagte Marius, fast ehrfürchtig. »Aber so weit sind wir doch gar nicht gelaufen, oder?«
    Er verdrängte alles. Wirklich und immer
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