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Der Fremde aus dem Meer

Titel: Der Fremde aus dem Meer
Autoren: Amy J. Fetzer
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entgegenbrachte und in ihm den Vagabunden sah, der er ja auch war. Mit ihrer ehrlichen Einschätzung hatte sie ihn zum ersten Mal seit seinem fünfzehnten Lebensjahr dazu gebracht, sich über seine Zukunft Gedanken zu machen.
    Ja! Es war sie, die diesen Gefühlsaufruhr in ihm hervorgerufen hatte.
    Frauen! Machen einen Mann nur verrückt. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, legte die Unterarme auf die Reling und starrte auf das eisblaue, am schwarzen Schiffsrumpf vorbeischießende Wasser, als sei es die Kristallkugel einer Seherin. Hast du nun wirklich genug vom Fechten mit Banditen und von der Jagd nach Sinnenfreuden, alter Mann? Und wenn du glaubst, dass eine gute Frau wirklich das Richtige für dich ist, bist du dann auch bereit, nach ihr zu suchen? Du bist kein junger Bursche mehr -welche Chancen hast du also noch? Alles musste besser sein als diese quälende Einsamkeit, diese ... Ungeduld nach mehr, Gefühle, die er bisher nicht gekannt hatte.
    Und, verdammt noch mal, er war eifersüchtig. Ja, er war es tatsächlich! Obwohl er Dane niemals das Glück missgönnen würde, das er mit Tess gefunden hatte, wusste Ram doch, dass er solch eine Liebe fürs Leben nicht einfach aus dem Meer fischen konnte.
    Zum Teufel!
    Suchte er etwas, was für ihn unerreichbar war?
    Ramsey hob den Blick zum Horizont, und ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er bewegte die Schultern hin und her, konnte das Unbehagen aber nicht abschütteln.
    Als er Danes lauthals geäußerte Liebeserklärung an Tess ver-nahm, wurde er wütend. »Diese verdammten Frischvermählten!« Er warf einen Blick zur Seite und sah das Paar scharf an. Dann richtete er sich plötzlich auf und starrte über ihre Köpfe hinweg. »Heilige Mutter Gottes«, flüsterte er ehrfürchtig. »Was in aller Welt ist denn das?«
    Tess wirbelte herum. »Jesus ... nein!«
    »Capt’n! Die Wand ... schon wieder!«, schrie ein Matrose mit Entsetzen in der Stimme.
    Wieder ? Wie gebannt starrte Ramsey auf die schwarze Nebelwand, die sich von der Oberfläche des Meeres hinauf bis in die Unendlichkeit erstreckte. Dichter Rauch breitete sich in Wellen aus, neblige Tentakel griffen nach ihnen, folgten ihnen über das Meer, sich langsam ausstreckend wie die feingliedrigen Finger einer Frau. Ram schluckte. Neugierig und furchtsam.
    »Fertig machen zum Beidrehen!«, schrie Dane und riss Tess fest an sich.
    Matrosen eilten herbei, fieberhaft damit beschäftigt, Segel und Spiere gegen den Wind zu stellen. Ramseys Blick sprang zu Tess hinüber und wurde von dem Schrecken auf ihren vollkommenen Zügen, von den panikerfüllten Augen in den Bann geschlagen. Und Dane ... mein Gott, der Mann war verzweifelt, bellte Befehle, ließ jedoch keinen Augenblick von seiner Frau ab.
    Sie sind schon einmal Zeugen dieser Erscheinung gewesen, wurde Ram schlagartig klar. Dann kletterte er auf den Bugspriet, um eine bessere Sicht zu haben. Plötzlich beschleunigte sich sein Herzschlag, das Blut raste durch seine Adern, und er hielt inne. Ihm war schwindlig, Schweiß brach ihm aus, und er griff in die Takelung, um sich im Gleichgewicht zu halten. »Allmächtiger Gott!« Er schnappte nach Luft. »Was ist das?«, fragte er über die Schulter zurück.
    Unsicher sah Tess zu Dane empor, dann zu Ramsey, dann wieder zu ihrem Ehemann.
    »Sag es ihm, Liebes«, drängte Dane, der auf das Knarren der
    Takelung horchte, als die Fregatte sich von der Wand wegbewegte.
    Tess’ silbergrauer Blick senkte sich in Ramseys Augen. »Es ist die Zukunft, Ramsey.«
    Seine Brauen schossen in die Höhe, und die Finger schlossen sich fest um die Taue.
    »Ich weiß zwar nicht genau, zu welcher ... aber das«, sie warf einen scharfen Blick hinüber zu der schwarzen Wand, »ist ein Riss in der Zeit.«
    Ramsey fuhr herum. Die heftige Bewegung ließ das Bild verschwimmen. Er blinzelte. Die Zukunft?
    »Es kommt näher!«, schrie ein Matrose.
    »Backbord hart leewärts!«, kommandierte Dane. »Jetzt!«
    Ein gespannter, erwartungsvoller Ausdruck trat auf Rams Gesicht, selbst als ihm klar war, dass sie nicht scherzte. Ein Riss in der Zeit? Eine Tür vielleicht? Er wirbelte herum und sah, wie Tess ihren Mann anflehte, nicht zuzulassen, dass sie wieder zurückgehen musste. Zurück wohin? Nach Hause? Dane würde an dem Verlust zu Grunde gehen - und lieber Gott im Himmel ... Es ist zurückgekommen, um sie zurückzuholen. Alles, was er Seltsames über Tess wusste, schoss ihm durch den Kopf. Sie war wie keine andere, die er je gekannt hatte ...
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