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Der Frauenhaendler

Der Frauenhaendler

Titel: Der Frauenhaendler
Autoren: Giogio Faletti
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hier ist keine Ausnahme. Ich sehe keinerlei Grund dafür.«
    Vor dem letzten Satz hatte Lucio eine Pause gemacht, und er hatte ihn leicht betont. Selbstironie ist vermutlich einer der Schutzschilde, die er zwischen sich und eine unsichtbare Welt schiebt. Indem er versucht, nicht gesehen zu werden, begibt er sich auf Augenhöhe mit denen, die er nicht sehen kann.
    »Also okay, trinken wir einen Kaffee. Du bist eine Nervensäge.«
    Er hört, wie sich meine Tür schließt und meine Schritte den Treppenabsatz überqueren. Sofort öffnet er seine Tür noch ein Stück und tritt von der Schwelle, um mich hereinzulassen.
    »Und du bist ein undankbarer Idiot. Ich werde einen beschissenen Kaffee machen. Das soll dir eine Lehre sein.«
    Wir treten in seine Wohnung. Zugeständnisse an den Gesichtssinn sucht man hier vergeblich. Die Stoffe wurden allein aufgrund ihrer taktilen Qualitäten ausgewählt, und die Farbzusammenstellung ist willkürlich. Die Einrichtung nicht. Als wir uns vor einem Jahr kennen lernten, hat Lucio mir erzählt, dass seine Wahl auf diese Wohnung gefallen ist, weil ihr Grundriss jenem der Wohnung ähnelt, in der er zuvor gewohnt hatte. Die Möbel stehen genauso wie dort, so dass er sich die Strecken mühelos merken konnte.
    Zumindest fast.
    Ein Fast gibt es in seiner Situation eigentlich immer, wie er sagt.
    Ich begebe mich zum Tisch neben der Fenstertür und werfe einen Blick durch die Scheibe, vor der keine Gardinen hängen. Die Frau mit dem Hund ist nicht mehr da. Niemand ist auf der Straße.
    Wir sind alleine, drinnen und draußen.
    Lucio bewegt sich durch sein Reich ohne Ecken und Kanten, als könnte er sehen. Irgendwann verschwindet er in der winzigen Küche, und ich höre, wie er mit den Türen der Hängeschränke und der Espressokanne herumklappert. Seine Worte erreichen mich, als ich mich gerade setzen will.
    »Nur ein leichtes, weil du die Nacht durchgemacht hast.«
    »Schieß los.«
    »Verkommene Hülle. 4 und 4 ist 8.«
    Es handelt sich um ein Kryptogramm. Der Definition nach muss es zwei Worte enthalten, die zusammengesetzt ein drittes ergeben. Ich muss nicht eine Sekunde nachdenken.
    »Verkommene Hülle. Faul und Pelz. Faulpelz.«
    Dieses Mal bin ich es, der das Lächeln in seiner Stimme hört, obwohl ich es nicht sehen kann.
    »Okay, das war aber auch wirklich zu einfach. Oder du bist Bravo nicht nur dem Namen nach, sondern verdienst es auch als Urteil für deine Fähigkeiten.«
    Die Gewohnheit pflegen wir schon seit einiger Zeit. Wir erfinden Rätsel und tauschen sie statt privater Vertraulichkeiten aus. Irgendwann wird einer von uns einmal ein äußerst kompliziertes Kryptogramm erfinden, und der andere wird es lösen. An jenem Tag werden wir vielleicht sagen können, dass wir Freunde sind. Für den Moment sind wir nur zwei Menschen, die wissen, dass sie sich während des Hofgangs begegnen.
    Mit dem Röcheln der Espressokanne kündigt sich der Kaffee an. Lucio kommt aus der Küche und hält zwei nicht zusammengehörige Tassen und eine Zuckerdose in der Hand. Ich helfe ihm nicht, weil ich weiß, dass er das nicht möchte. Die Bestätigung entnehme ich der Tatsache, dass er mich nie darum gebeten hat.
    Er stellt alles auf den Tisch und verschwindet wieder. Als er zurückkommt, hält er eine Espressokanne für zwei Tassen und zwei kleine Löffel in der Hand. Auch die stellt er auf den Tisch, dann nimmt er mir gegenüber Platz.
    »Okay, Matilde. Servieren Sie bitte den Kaffee.«
    »Ist das ein Kryptogramm?«
    »Nein, das ist ein Befehl.«
    Vor allem ist es das einzige Zugeständnis, das Lucio an seine Blindheit macht. Meine Hilfe ist kein Akt der Höflichkeit, sondern eine Aufgabe. Ich schütte den Kaffee in die Tassen und gebe Zucker hinzu. Zwei Löffel für ihn, einen halben für mich. Seine Tasse stelle ich ihm hin, und zwar so, dass er am Geräusch die Position erkennt. Er streckt den Arm aus, nimmt sie und genießt den Kaffee in aller Ruhe, während ich ihn, obwohl er sehr heiß ist, in zwei Schlucken hinunterkippe. Der Godie hat mich deswegen Asbestmaul genannt und sich ausnahmsweise sogar die bemühten Finessen seines Jargons verkniffen.
    Ich stecke mir eine Zigarette an. Lucio riecht den Rauch. Er dreht den Kopf in die Richtung, die ihm von meinem Laster gewiesen wird.
    »Marlboro?«
    »Ja.«
    »Die hab ich auch mal geraucht. Ich habe aufgehört.«
    Er trinkt den letzten Schluck Kaffee.
    »Du wirst es nicht glauben, aber es ist kein Genuss zu rauchen, wenn man den Rauch nicht aus dem
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