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Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Titel: Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
Autoren: Barbara Erskine , Ursula Wulfekamp
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und sah zum See hinab. Es war ein wunderbares Haus, wild, verlassen, verhaftet in Träumen einer vergangenen Zeit. Seufzend drehte sie sich um und betrachtete die blinden Fenster. Hier war ihr Zuhause gewesen, wenn auch nur für einige wenige Monate; hier hatte sich das Unglück ereignet, das ihre Mutter veranlaßt hatte, ihre Tochter wegzugeben. Es war ihr Zuhause, es lag in ihrem Blut, aber es hatte sie zurückgewiesen.
     
    Sie tat das alles nur für Tom, hatte sie gedacht, während sie die Sträßchen von North Essex entlanggefahren war. Für Tom, ihren kleinen Sohn. Bis zu dem Tag, an dem sie ihn in den Armen gehalten und ihm in das kleine, faltige Gesicht geblickt hatte, das dem seines Vaters so ähnlich war, hatte sie nie den Wunsch verspürt, das Geheimnis ihrer Herkunft aufzudecken.
    Sie hatte sich bei ihren Adoptiveltern immer glücklich und geborgen gefühlt. Schließlich war sie etwas Besonderes — ein auserwähltes Kind. In ihren Tagträumen hatte sie sich ihre leiblichen Eltern nur vage und klischeehaft vorgestellt; einmal war ihre Mutter eine Prinzessin gewesen, dann wieder eine Plättmamsell, eine Poetin, eine Pianistin oder sogar eine Prostituierte. Ihre Fantasie kannte keine Grenzen; es war ein harmloses Vergnügen gewesen. Eines Tages, so hatte sie sich immer gesagt, wolle sie die Wahrheit ergründen, aber wenn sie ehrlich war, wußte sie, daß sie die Nachforschungen allein aus Angst vor einer glanzlosen Wahrheit vor sich hergeschoben hatte. Erst als sie zu Tom heruntergesehen und dabei begriffen hatte, was es hieß, ein eigenes Kind in den Armen zu halten, war ihr klargeworden, daß sie sich auf die Suche begeben mußte. Sie wollte nicht nur herausfinden, wer ihre wirkliche Mutter war, sondern auch, wie und warum sie ihre Tochter weggegeben hatte. Von einem Augenblick
auf den anderen hatte sich ihre harmlose Neugier in leidenschaftliche Besessenheit verwandelt.
    Der Anfang war fast zu einfach. Den Urkunden zufolge hieß ihre Mutter Laura Catherine Duncan, geborene Manners, ihr Vater Philip George Henry Duncan. Er war sieben Monate vor ihrer Geburt gestorben. Sie war am 21. Juni 1964 in Belheddon Hall, Essex, zur Welt gekommen.
    Ihre Adoptiveltern Alice und Joe hatten sich schon lange auf diesen Augenblick vorbereitet und wollten sie dazu überreden, eine der Agenturen aufzusuchen, die Verwandte von Adoptivkindern aufspüren. Aber das hatte sie abgelehnt; sie wollte diese Aufgabe selbst übernehmen. Auch wenn ihre Mutter nicht mehr in Belheddon Hall wohnen sollte, wollte sie das Haus sehen und das Dorf kennenlernen, in dem sie geboren war. Vielleicht konnte sie ihre Wurzeln ja spüren.
    Mit einem Blick auf die Landkarte hatte sie festgestellt, daß Belheddon an der Küste von East Anglia lag, ein kleines Dorf an der Grenze zwischen Suffolk und Essex, rund fünf Meilen von der Marktstadt Manningtree entfernt und erstaunlich abgelegen. Nach Norden hin erstreckte sich der breite Mündungstrichter des Stour in die Nordsee.
    Eigentlich hatte sie sich eine romantischere Landschaft als Essex vorgestellt, vielleicht das West Country oder Schottland, aber sie setzte sich strenge Auflagen: Sie würde keine Vorurteile haben, gegen nichts und niemanden, und alles unvoreingenommen auf sich zukommen lassen.
    Vor Nervosität war ihr Mund ganz trocken, als sie schließlich in Belheddon ankam und vor dem einzigen Laden parkte. Die Fenster des Gebäudes waren unschön mit vergilbtem Zellophanpapier verklebt. Belheddon Post Office and Stores . Sie hatte die Augen geschlossen, als sie die Handbremse anzog und den Motor abstellte, und bemerkte erstaunt, daß ihre Hände zitterten.
    Der kalte Wind fegte totes Laub über den Bürgersteig und ließ das Ladenschild über der Tür hin und her schwingen. Mit steifem Rücken stieg Joss aus dem Wagen. Es war eine weite Fahrt gewesen. Sie hatte sich Essex mehr oder weniger als einen riesigen, langweiligen Vorort im Nordosten Londons vorgestellt,
sich damit aber gründlich getäuscht. Von Kensington, wo sie und Luke lebten, hatte die Fahrt über zweieinhalb Stunden gedauert, und zumindest die letzte Stunde war sie durch tiefste Provinz gefahren.
    Die Straße vor ihr lag wie ausgestorben da. Sie war auf beiden Seiten von hübschen Cottages gesäumt, verlief weiter hinten quer über den Dorfanger und bog dann zur Flußmündung ab. Es war ein kleines Dorf mit rund fünfundzwanzig Häuschen; einige davon waren strohgedeckt, zwei oder drei hatten Fachwerkfassaden, und in den
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