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Der Fluch der Finca

Der Fluch der Finca

Titel: Der Fluch der Finca
Autoren: Deborah Dalton
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und starrte die Straße hinunter. Mr. Freeling saß in seinem
Vorgarten, eine Dose Bier in der Hand und winkte ihr grüßend zu, als er sie sah.
    Doch Michelle sah ihn nicht. Sie starrte die lange Avenue hinauf, in die Richtung, in der
die Straße in einer Sackgasse endete. Dahinter gab es einen hohen Drahtzaun mit
einer Tür, die in den dahinterliegenden, kleinen Canyon führte, in dem die Kinder aus
der Nachbarschaft so gern ihre Abenteuerspiele spielten. Die Eltern waren zwar nicht
begeistert davon, weil sich durchaus einmal eine Klapperschlange dorthin verirren
konnte, doch man konnte seine Kinder schließlich nicht pausenlos beobachten und bisher
war auch noch nie etwas geschehen.
    Dort hinten stand jemand. Er hatte die Tür im Zaun bereits geöffnet und war gerade im
Begriff, hindurchzugehen, als er sich noch einmal umdrehte.
    Als sie erkannte, wer da stand, verkrampfte sich ihre Brust. Zwar konnte sie das
Gesicht des Mannes auf die Entfernung nicht erkennen, doch Statur und Kleidung
ließen keinen Zweifel. Es war Harry.
    Die Gestalt schaute direkt zu ihr hinüber und schließlich hob sie ganz langsam den
rechten Arm und winke ihr zu. Es war eine melancholisch wirkende Geste und Michelle
kam die Szene gleichzeitig völlig real und auch komplett unwirklich vor.
    Gerade als der Mann – Harry?- den Arm wieder senkte und sich endgültig zum Gehen
wandte, kamen zwei Kinder den Weg aus dem Canyon hochgestürmt.
    Sie erreichten die Tür und rannten hindurch, ohne sich um den Mann, der ihnen den
Weg versperrte, zu kümmern. Sie rannten einfach durch ihn hindurch, als sei er überhaupt
nicht da.
    Dann war der Mann verschwunden und die Kinder kamen die Straße entlang gelaufen,
als sei nichts gewesen. Michelle wurde kalt und sie begriff nicht, was sie dort draußen
gerade gesehen hatte.
    „Einen wunderschönen guten Morgen, Mrs. Penn“, rief Mr. Freeling gutgelaunt von der
anderen Straßenseite und prostete ihr mit seinem Bier zu.
    Michelle grüßte geistesabwesend zurück und taumelte rückwärts vom Fenster weg.
    Dabei stieß sie gegen die Schublade und geriet ins Straucheln. Um ein Haar wäre sie
darüber gestürzt, doch sie schaffte es, sich mit der linken Hand auf der Kommode abzustützen
und im Gleichgewicht zu bleiben.
    Sie starrte hinunter und konnte sehen, dass der allzu vertraute Umschlag in der Schublade
ganz obenauf lag.
    „Das kann nicht sein“, stammelte sie verwirrt.
    „Ich habe zuerst den Brief hineingelegt und dann noch Zeitschriften draufgelegt, das
weiß ich genau.“
    Sie kniete sich hin und zog die Lade vollständig auf. Mit zitternden Fingern nahm sie ihn
heraus, zog den zusammengefalteten Zettel daraus hervor und verlor abermals beinahe
das Bewusstsein, als ihr der Geruch von Harrys Rasierwasser aus dem Umschlag entgegenströmte.
    Michelle
ließ sich aus der Hocke auf die Knie fallen und las den Brief ihres toten
Mannes zum ersten Mal seit achtzehn Monaten.

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    2. 2. KAPITEL
    Sie las den Brief schließlich nicht einmal, sondern nahezu ein Dutzend Mal. Michelle
konnte sich an seiner Handschrift einfach nicht sattsehen und der betörende Duft
seines Rasierwassers, der mit seinem eigenen, unverwechselbaren Geruch gemischt
war, ließ sie in süßen Erinnerungen versinken. Sie konnte die Nachricht ihres verstorbenen
Gatten über eine Stunde lang nicht aus den Fingern legen.
    Jetzt, als sie es endlich geschafft hatte, ihn wieder in die Schublade zu stecken, saß sie
da und dachte über das nach, was Harry ihr mit dem Brief wirklich hatte sagen wollen.
    Harry forderte sie darin auf, nach einer Phase der Trauer wieder am Leben teilzunehmen
und ihn in fröhlicher Erinnerung zu behalten. Das Leben, so schrieb er, musste
einfach weitergehen, ganz gleich, was geschah.
    Beim ersten Lesen, damals als sie die Nachricht erstmals in den Händen gehalten
hatte, war ihr das alles so leicht dahingesagt vorgekommen. Wie, so hatte sie sich
gefragt, konnte Harry das ernsthaft von ihr verlangen? Wusste er denn nicht, welch riesige
Lücke sein Tod in ihr Leben gerissen hatte? Hätte er nicht beim Schreiben schon
wissen müssen, wie das für sie sein würde?
    Doch jetzt dachte sie anders darüber.
    Michelle verstand, dass Harrys einziger Trost beim Gedanken daran, sie vielleicht allein
zurücklassen zu müssen, darin bestanden haben muss, dass er sie mit seinem Brief
nicht nur trösten, sondern wirklich würde retten können.
    Diese Zeilen waren so etwas wie sein letzter Wille und
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