Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast
Autoren: Residenz
Vom Netzwerk:
und Gioconda
entstanden, vor der Bekanntschaft mit der Marie, spielte ja in einer Renaissance-Epoche. Sein Vater hatte nicht verstanden, wie er sich in einen uralten Maler hineindenken und hineinfühlen hatte können …
    Das Herumgesirre und Gesumme der vielen Fliegen war tatsächlich lästig. Er setzte seine Brille auf und versuchte unauffällig zu dem Herrn hinüberzuschauen, der vorhin eingetreten war und ihn anzustarren schien. Mit der Brille konnte er noch weniger sagen, ob der Mann ihm bekannt war. Dieser stellte sich dem Ober in den Weg, der mit einem voll beladenen Tablett an ihm vorbeieilen wollte, sagte ihm etwas. Jetzt setzte der Mann sich in Bewegung, kam auf ihn zu. H. spürte, wie sein Herz sich verkrampfte. Der Rudolf Borchardt? Verrückte Idee, dachte er sogleich, aber das hatte ich mir doch schon vor ein paar Tagen eingebildet … Werde ich jetzt endgültig senil?
    Andererseits, das schmale, dunkelhäutige Gesicht, der Schnurrbart, der steife Gang eines Offiziers? Ich hätte gar nichts dagegen, dachte er, mich mit dem Rudolf zu versöhnen. Der Besuch bei Borchardt, vor dem Krieg, in seiner wunderschönen Villa auf dem Land, in der Nähe von Lucca, auf einem Hang errichtet, umgeben von Olivenbäumen, pickenden Hühnern und Truthähnen vor dem Haus, hinter dem Haus eine Quelle mit wunderbarem Wasser … Neunzehnhundertzwölf war es gewesen, im Jahr der
Ariadne
. Aufregende, anregende Gespräche den ganzen Tag über, bis tief in die Nacht … Wie sie beide beim Abschied gleichzeitig sich einander offenbart hatten: Mit dieser Begegnung sei ihre Freundschaft neu erstanden … Vergessen war, was der Verleger Willy Wiegand ihm einmal spätnachts erzählt hatte: daß der Borchardt nicht nur Freundliches über ihn sage; in einer späten Runde in Berlin habe er einmal gemeint: »Hofmannsthal? Ach ja, ein rastloser literarischer Weltmann, immer auf Wirkung aus; nie verlegen, um zu solcher Wirkung zu gelangen …« Genug. Alles, alles wurde aufgewogen allein durch jenen langen Brief, in dem der Rudolf über die
Ariadne
ihm einiges geschrieben hatte … Wer in Deutschland – gar in Österreich –, hatte H. gedacht, beinah mit einer Art von Neid – aber doch mit dem guten Neid,
envidia sana
, wie die Spanier sagen –, wer wäre denn fähig, so über ein dichterisches Gebilde zu schreiben?
    Das Gesicht des Mannes war im Näherkommen auf einmal eher rundlich; jetzt schaute er an H. vorbei, schritt mit genagelten Schuhen, den Hut in der Hand, an ihm vorüber.

ALS DER Vater damals in der Fusch zwei Tage krank gelegen war … Es war sein Maturajahr, erinnerte er sich. Es ging ihm nicht aus dem Kopf, daß er nun auch dieses Alter erreicht hatte, die Fünfzig, und daß sich der Vater im Vergleich zu ihm physisch anscheinend in einem viel besseren Zustand befunden hatte … Die vorübergehende Herzschwäche war wohl bloß eine Folge der Überarbeitung gewesen.
    Es fiel ihm ein, wie übermütig der Papa damals, auf dem Rückweg von einer Bergwanderung, die Treppen zur Kirche hinunter beinah gesprungen war, so daß die Mama ihm ängstlich hinterhergerufen hatte. Woran hab ich, versuchte er sich zu erinnern, damals gearbeitet? Den
Tizian
abgebrochen, unterbrechen müssen wegen des Büffelns für die Matura, und dann nicht mehr hineingekommen in diese intimen Dialoge …
Ascanio und Gioconda
in jenem Sommer angefangen.
    Die Marie von Gomperz … In jenem Sommer während eines Besuchs in Aussee hatte er ihre Tante, die Frau von Wertheimstein kennengelernt, was er sich schon lange so sehr gewünscht hatte. Wie hatte Hermann Bahr ihm einmal bei einem Spaziergang auf dem Kapuzinerberg in Salzburg gesagt: Im Leben erreiche man alles, was man sich wünsche, aber zu spät, dann, wenn es einen nicht mehr freut … Für den Bahr mochte das zutreffend gewesen sein, aber ich, dachte er, könnte nicht sagen, daß Dinge, die ich mir in jungen Jahren erträumt habe, später im Leben … Einiges schon. Und was könnte ich denn noch hoffen? Und bin ich nicht in sehr jungen Jahren verwöhnt gewesen, sind meine lyrischen Arbeiten nicht im ganzen deutschsprachigen Raum gerühmt worden? Hab ich mir nicht einen Namen gemacht, ohne eigentlich zu begreifen, wie es dazu kam? Und käme es jetzt nicht darauf an, den Anfang mit dem Ende zu verbinden … Aber wie sollte es dazu kommen? War etwa der Weg zum Theaterautor von Anfang an ein Irrweg gewesen? Priesen nicht sogar meine Freunde mehr meine essayistischen Arbeiten als meine Theaterstücke,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher