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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast
Autoren: Residenz
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beiden bald sehen zu können.
    Christiane hatte er ja die letzten Monate daheim bei sich gehabt; im Herbst wollte sie wieder nach Paris. Ihre Freundschaft oder Liebe zu dem Thankmar von Münchhausen durchschaute er nicht. Der junge Mann schien unter der derzeitigen langen Trennung gar nicht so furchtbar zu leiden. Gut, daß das Kinderl ihren ersten Liebesschmerz schon hinter sich hatte und jetzt mit dem Erwin Lang befreundet sein kann. Die folgenden Male, dachte er, tun dann nicht mehr so schrecklich weh.

DAS BAUMLOSE Hochplateau mit dem ebenen Almenweg müßte er eigentlich längst erreicht haben; längst sollte er – worauf er sich schon in der Früh gefreut hatte – auf der Terrasse der Embachalm sitzen, bei Milch und Butterbrot und mit dem Blick auf das Gebirgspanorama. Er schien jedoch immer tiefer in einen Wald hinein geraten zu sein, in dem er sich nicht mehr auskannte.
    Was für ein Wald konnte das denn bloß sein? Der bewaldete Hügel, der sich hinter der Kirche sanft ansteigend ausbreitete, war ja nicht so groß, jedenfalls nicht in seiner Erinnerung. Hatte der Wald in dreißig Jahren sich dermaßen ausgebreitet? Die Stämme standen immer enger beieinander, es wurde immer dunkler, er war ins Schwitzen gekommen, es war besser, umzukehren. Wem, dachte er, würde da nicht der Anfang der
Göttlichen Komödie
einfallen:
    Befand ich mich in einem dunklen Wald
    Weil ich den rechten Weg verloren hatte

    Ich bräuchte auch einen Vergil, einen, der mich führt, dachte er, und da ich meinen Fuscher Wanderführer nicht dabei habe, kann ich dann in meinem Zimmer nicht einmal überprüfen, wie und warum ich mich verlaufen habe. Auf jeden Fall wäre es besser gewesen, aus dem Ort hinaus auf dem Fürstenweg bis zu der Abzweigung auf den Höhenweg zu wandern und dann linkerhand abzubiegen und der Almhütte zu. Das Herz war ihm früher jedes Mal weit geworden auf diesem Weg, heraus aus der durch Gebäude und steile Hügel begrenzten Enge des Ortes.
    Er drehte sich um. Ein Weg war nicht mehr zu erkennen, er mußte umkehren. Alle die Tannenund Fichtenstämme waren bis weit hinauf ohne Äste. Ausblicke auf den Himmel gab es kaum. Was hab ich hier verloren?
    Er wünschte sich in die Stallburggasse, in seine kleine Stadtwohnung in Wien. Jetzt dort die Treppe hinuntersteigen und im Café
Bräunerhof
einen Schwarzen trinken … Aber so die Treppen in den dritten Stock hinaufspringen wie mein Vater, wurde ihm klar, könnte ich nicht mehr. Wie oft hatten die Gerty und er sich dort oben umgezogen, vor einem Theater- oder Konzertbesuch, hinterher genächtigt auf der Ausziehcouch, am nächsten Morgen im Café gefrühstückt, ein paar Einkäufe erledigt und dann mit der Tramway gemütlich Richtung Rodaun. Die vielen kleinen Antiquitätenläden in der Gasse, vor dem Krieg, das Biedermeier-Tischerl, das die Gerty so gern gehabt hätte – und dann war es plötzlich verkauft.
    Wie hatte er, fiel ihm ein, in Lenzerheide am letzten Tag Carl vorgeschwärmt von Fusch, diesem
magischen Ort

    Auf halber Höhe eines Stammes jaulte ein Tier, ein Eichhörnchen, wie er sah, es wedelte aufgeregt mit seinem Schwanz, schaute zu ihm herunter. Vor vielen Jahren hatte ihm jemand gesagt, wegen der häufigen Lawinenabgänge habe man in Bad Fusch alle Hänge aufgeforstet. Von ferne hörte er einen Hund bellen. Ich bin ja doch nicht aus der Welt, dachte er.
    Es war der Direktor Flatscher selber gewesen, erinnerte er sich, und Flatscher hatte ihm auch von einem Holzknecht erzählt, dem ein Eber mit seinen Hauern den Oberschenkel aufgeschlitzt hatte; der Mann war in einem Wald elendig verblutet. Über wen aus der kaiserlichen Familie hatte ihm vor vielen Jahren jemand Ähnliches erzählt, wobei die Sache jedoch glimpflich abgelaufen sein soll, weil einer der Jäger ein Arzt gewesen war?
    Sich vorzustellen, wie unsere Geschichte, dachte er, hätte verlaufen können, wenn der Kaiser in jungen oder mittleren Jahren verstorben wäre. Es hätte vor mindestens vierzig Jahren geschehen müssen, als der Kronprinz noch Herr seiner selbst war. Des Kaisers Geburtstag jedenfalls würden sie in Altaussee gedenken. Es ging gar nicht anders. (Sich vorzustellen, die Geburtstage irgendwelcher Politiker könnten einem etwas bedeuten!) Um diese Zeit im Jahr hatte man in Aussee manchmal schon reifes Obst im Garten aufklauben können. Im Herbst dann, wenn jeden Morgen die Äpfel unter den Bäumen lagen, war die Hausbesitzerin meistens schon in aller Früh, während sie noch
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