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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast
Autoren: Residenz
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besonders der neue
Opel
gefiel ihm.
    Der Wagen für Jedermann. 4 PS, komplett, dreitausendneunhundert Goldmark, ab Werk Rüsselsheim
.
    Schon lange wünschten er und seine Frau sich ein eigenes Auto, wie viele ihrer Freunde, aber wer sollte es fahren? Wieviel mochte es kosten, zeitweise einen Chauffeur zu beschäftigen? Die Form des Wagens schien ihm ästhetisch perfekt, einfach schön. Aber wer weiß, wann man den Wagen in Wien würde kaufen können.
    Auf der ersten Seite der
Frankfurter Zeitung
– von voriger Woche, ein Gast mußte sie liegengelassen haben – ein Feuilleton von Joseph Roth, der sich, wie dem Text vorangestellt zu lesen war, auf der Insel Rügen aufhielt. Er hörte die Glocke der Fuscher Kirche bimmeln, das Angelus-Läuten. Roth berichtete von einer Tanzveranstaltung, Fischer und Fischerinnen in alten Trachten. Ein alter Fischer habe sich nachher am Wirtshaustisch beklagt, daß die jungen Fischer auf die Überlieferung keinen Wert legten, sondern Jazz und Shimmy tanzen wollten.
    Zuletzt hatte er den ganzseitigen, eng gedruckten, überaus spannenden Reisebericht eines Reporters namens Leopold Weiß aus dem Irak gelesen. Von Aleppo ausgehend, die viertägige abenteuerliche Wüstenfahrt nach Bagdad. Hätte ich das daheim gelesen, dachte er, dann mit dem Atlas auf dem Tisch, um alle die Orte zu suchen. Betroffen las er von dem ungeheuren Haß des irakischen Volks auf das britische Imperium, dem der Irak nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches zugesprochen worden war, vom Freiheitsdrang der Iraker. Am Ende gerieten die Reisenden im großen Basar in einen Aufstand. Carls Reisebericht kam ihm in den Sinn, seine
Kleinasiatische Reise
, welche H. im nächsten Heft der
Deutschen Beiträge
veröffentlichen würde. Er las noch einmal den letzten Absatz: …
ein knatterndes Geräusch, wie wenn jemand trockene Erbsen über den Boden schüttet

    Er merkte, diese Lektüre hatte ihn aufgeregt. Und er beschloß, jetzt hinaufzugehen, sich wieder ein wenig hinzulegen und später, nach dem Essen, einen kurzen Spaziergang zu unternehmen, wenn es dann nicht bereits zu dunkel war. Da die Zeitung niemandem zu gehören schien, faltete er die Feuilleton-Doppelseite zusammen und steckte sie ein. In Aussee dann würde er seiner Familie von dieser Reportage erzählen. Seine Frau hatte immer wieder einmal gesagt, wenn er von gelesenen Reiseberichten erzähle, könne sie sich die fremden Länder besser vorstellen, als wenn jemand, der dort gewesen war, davon berichtete.

WELCHE TAGESZEIT haben wir? Nachmittag wahrscheinlich. So wie jetzt das Licht beim offenen Fenster hereinflutete, das gab es eigentlich nur in Aussee. Hatte jemand geklopft? Wo war die Tür?
    »Einen Moment!«
    Er setzte sich auf, sah an sich hinunter, das zerknitterte Nachthemd. Wieder der Schwindel. Egal, es würde ohnehin bloß die Kreszenz oder die Vroni sein. Er erinnerte sich an ein Gespräch vor vielen Jahren in Paris – war es mit dem Paul Zifferer? Wie sie über das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert gesprochen hatten, daß der hohe Adel nicht nur vor den Dienstboten kein Sichgenieren kannte, sondern auch Freunde und Bekannte durchaus im Bett empfangen wurden … Er versuchte aufzustehen. Sofort wieder der Schwindel.
    »Ja, bitte!«
    Ist das …? Der Doktor Krakauer.
    »Verzeihen Sie viel-, vielmals! Der Portier sagte mir – übrigens sehr diskret, er weiß, daß ich Arzt bin –, daß Sie sich heute nicht wohl fühlen. Wie geht es Ihnen? Hat der Kurarzt Sie untersucht?«
    »Ich hab mir etwas zuviel zugemutet«, erwiderte er, »steile Wege … Ich weiß es und hab es trotzdem getan.
Arterienverkalkung
, lieber Herr Doktor, mein Wiener Internist hat mir schon vor zwei Jahren …
    Ich hab mich verirrt, gestern nachmittag, wie Ihre Baronin neulich, nicht? Manchmal kommt mir vor, die Berge und Hügel in der Fusch hätten sich verschoben, neue Wälder sind offenbar entstanden … Jedenfalls ist die Natur in Bewegung. Die Bergrutsche nehmen nun, da man die Lawinen gebändigt … Verzeihen Sie. Möchten Sie die Bücher von dem Stuhl …? Ich hatte mir vorgestellt, Sie seien längst …«
    Krakauer zögerte, schaute sich in dem Zimmer um.
    »Legen Sie die Sachen einfach auf den Boden und setzen Sie sich ein wenig zu mir ans Bett, wenn Sie Zeit haben. Gut sitzt man ja bekanntlich nicht auf diesen, verzeihen Sie … Thonet-Stühlen. Ich hab um einen zweiten Stuhl gebeten, einen, auf dem ich sitzen kann. Dieser da mag als Ablage dienen …Meine
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