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Der fliegende Weihnachtskater

Der fliegende Weihnachtskater

Titel: Der fliegende Weihnachtskater
Autoren: Andrea Schacht
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hatte, sein Jackett um die Schultern. Amita schlang die Arme fest um sich. Nicht nur die kalten Flocken und der Wind, auch die überstandene Strapaze machten sich jetzt bemerkbar. Sie fühlte sich seltsam abgehoben und unwirklich.
    Sicher würde eines der Boote sie bald an Land bringen. Sie sah sich um. Es schien niemand zu Schaden gekommen zu sein. Panik hatte es auch nicht gegeben, und selbst die Rettungsaktion verlief weitgehend undramatisch. Die Fähre war eingetroffen, und viele Hände halfen den Leuten an Bord.
    So ganz langsam konnte sie wieder denken. Es war verrückt, was sie da kurz vor der Notwasserung gesehen hatte. Nie hätte sie im Ernst angenommen, dass ein Teppich fliegen konnte. Und schon gar nicht mit einem Kater drauf. Ihr Hirn musste ihr in diesen Sekunden, in denen sie ihr Leben hatte zu Ende gehen sehen, ein Wahnbildvorgegaukelt haben. Eines, das sich mit ihren fliegerischen Instinkten verbunden hatte und ihr – dem Himmel sei Dank – die richtigen Handlungen eingegeben hatte.
    Shardul – an ihren ungeselligen Kater hatte sie gedacht.
    Verrückt.
    Eine einsame Lampe an der Notrutsche brannte und warf einen langen, silbrigen Streif über das dunkle Wasser. Amita folgte ihm erschöpft und ausgelaugt. Doch plötzlich merkte sie auf, ihr Blick fokussierte sich wieder. Irgendwas bewegte sich da. Ein Mensch? Nein, zu klein. Ein Fisch konnte es auch nicht sein. Hatte jemand ein Haustier an Bord gehabt?
    Ein leises Ziehen regte sich in ihrem Herzen. Sie beugte sich vor, um besser sehen zu können.
    »Mita, siehst du das?« Janina zupfte an ihrem Ärmel.
    »Ja. Das ist …«
    Im Schein der Lampe glühten zwei Augen auf. Das ersterbende Maunzen klang an ihr Ohr, dann versank der spitzohrige Kopf.
    Amita sprang.
    Das eisige Wasser raubte ihr fast den Atem.
    Schreie wurden hinter ihr laut.
    Sie zwang sich zu einigen Schwimmbewegungen. Dann hatte sie die Stelle erreicht, wo ein dunkles Bündel im Wasser lag. Sie packte zu. Spürte nasses Fell zwischen den Fingern. Zog es zu sich.
    Schlaff, kalt – eine Katze.
    Unglaublich.
    Sie drückte das Tier mit einer Hand an sich und schwamm mit drei Zügen zurück. Man griff nach ihr. Sie kletterte auf die Tragfläche zurück, drückte Janina den nassen Pelz in den Arm. Die öffnete, ohne zu fragen, das viel zu weite Jackett und barg das Geschöpf darunter an ihrer Brust.
    »Sind Sie wahnsinnig geworden?«, herrschte jemand sie an.
    »Scheint so.«
    »Lasst sie in Ruhe. Es hätte ein Mensch sein können.«
    »Kommen Sie, Frau Kapitän. Sie holen sich den Tod, nass wie Sie sind!«
    Eva schubste sie zu dem nächsten Rettungsboot. Janina stieg nach ihr ein, die Arme fest um die ausgebeulte Jacke geschlungen.
    »Er zappelt ein bisschen«, sagte sie leise.
     
    Meine Sinne kehrten zurück, gezogen an einem silbernen Fädchen. Ich war nicht mehr im Wasser. Es war nicht mehr kalt. Aber es war dunkel, und ich fühlte ein Herz pochen. Schnell und aufgeregt. Ich wurde fest an einen warmen Körper gedrückt, und meine Pfoten zuckten leicht.
    Weitere Sinne nahmen wieder ihren Dienst auf. Es roch komisch. Unbekannt. Nach Mann, nachAngstschweiß. Wo war ich? Wer war dieser Mensch, der mich an sich gepresst hielt? Der sich jetzt heftig bewegte. Warum schaukelt das schon wieder so?
    Mein Gehör schien sich auch wieder einzufinden. Zu gerne hätte ich meinen Kopf heftig geschüttelt, um das Wasser aus meinen Ohren zu bekommen. Aber dazu war es zu eng. Gedämpft hörte ich allerlei Laute. Laute Laute! Die immer lauter wurden. Geheul, Gejaule, Gehupe.
    Aber dann eine Stimme. Ganz nahe.
    »Ruhig, Kleiner. Gleich haben wir es geschafft.«
    Noch waren meine Ohren halb taub, aber die Stimme kannte ich.
    Ich zappelte ein bisschen, um von dem Druck auf meinem Rücken wegzukommen. Denn auch meine Augen wollten wieder ihre Arbeit aufnehmen. Hell war es oben. Oben war richtig, mein Gleichgewichtsinn war auch wieder da. Ich bekam die Nase aus dem Stoff.
    Und von meinem Herz fiel ein Wackerstein.
    Janina.
    Und dann drehte ich den Kopf – das ging auch wieder.
    Mein Herz flog.
    Es flog zu ihr hin, und der Silberfaden knüpfte sich fest.
    »Amita«, maunzte ich.
    Eine Hand näherte sich mir. Eine kalte, feuchte Hand. Und sie strich mir über den Kopf.
    Amita.
    Ich schmiegte mich in die Hand und schnurrte mit allem, was mein klammer Leib hergab.
     
    Remo wäre am liebsten mit in die Rettungsboote gesprungen, sah aber ein, dass das völlig unsinnig war. Jeder freie Platz gehörte den Passagieren.
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