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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
Autoren: Loretta Napoleoni
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denen der Konkurrenz liegen müssen. Dass eine fortschrittliche Technologie erlaubt, zu niedrigeren Kosten zu produzieren als die Konkurrenz oder bei gleichen Kosten bessere Qualität zu liefern. Da die Kapitalkosten mittlerweile nahe null liegen, lässt sich darüber wohl kaum ein Wettbewerbsvorteil erzielen. Bleibt also nur das andere Element der kapitalistischen Gleichung: die Arbeitskosten. Dies ist der Grund, weshalb man in Italien und den anderen Defizitländern seit mindestens zwei Jahren versucht, diese um jeden Preis zu drücken. Doch die Kürzung der Löhne und Gehälter oder die Umwandlung fester Arbeitsplätze in Leiharbeit ist ein Bumerang, der sich letztlich negativ auf den Konsum auswirkt, das Steueraufkommen reduziert und damit die Situation nur verschlimmert, weil er das Wachstum hemmt.
    Wenn die Kürzung der Staatsausgaben nicht weiterführt, die Staatsschulden aber gesenkt werden müssen, gibt es letztlich nur einen Weg: die Abwertung. Schwebt also über dem Mittelmeer erneut das Schreckgespenst der Abwertung wie in den siebziger und achtziger Jahren, als die Länder des südlichen Europa regelmäßig diesen Weg einschlugen, um ihre Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen? Nur dass die Dinge heute nicht mehr ganz so einfach liegen. Abwerten hieße, dass die PIIGS-Staaten aus der Euro-Zone ausscheren und Konkurs anmelden. Ebendieses Szenario wird uns stets als apokalyptische Vision präsentiert.
    Wäre es denn tatsächlich so schlimm?
    Das Beispiel Islands und Argentiniens hat uns gezeigt, dass ein kontrollierter Zahlungsausfall die negativen Effekte für die Volkswirtschaft abfedert. Wenn die Binnenschuld beglichen werden kann, stürzt das Land keineswegs in den Abgrund. Zu diesem Zweck müsste ein Land wie Italien 800 Milliarden Euro aufbringen, also etwas weniger als die Hälfte der Schulden der öffentlichen Hand, jenen Teil der Schulden also, die Banken und Bürger dem Staat geliehen haben. Der einzige Weg, an diesen Betrag zu kommen, ist eine einmalige einheitliche Steuer auf Vermögenswerte. Da 1 Prozent der Bevölkerung 45 Prozent der Vermögenswerte besitzt, ist klar, dass diese Steuer nicht den Hauptteil der Bevölkerung trifft.
    Die Auslandsschulden sind eine andere Sache. Sie müssten neu ausgehandelt werden. Hier allerdings kommt dann vermutlich ein Dominoeffekt zum Tragen. Da ein Großteil der ausländischen Schuldtitel bei deutschen und französischen Banken liegt, würde diese Länder der Schlag am härtesten treffen. Gehen nun auch die anderen PIIGS-Staaten den Weg des kontrollierten Zahlungsausfalls, bedeutet das für diese Banken den Bankrott. Dann würde der Konkurs der PIIGS-Staaten auch die reicheren Länder mit in den Abgrund ziehen. Das wollen Deutschland und Frankreich um jeden Preis vermeiden.
    Das Problem ist also recht komplex, denn so würden wir riskieren, in eine Abwärtsspirale zu geraten, bei der die Abwertung als Waffe im Kampf jeder gegen jeden genutzt würde. Daher kann solch eine Entscheidung nicht von einem Land allein getroffen werden. Die EU selbst müsste das zeitweise Ausscheren der PIIGS-Staaten aus dem Euro-System koordinieren, müsste die Abwertung der Einzelwährungen steuern, um die Unterschiede zwischen den einzelnen Volkswirtschaften im Euro-Raum auszugleichen. Noch besser wäre es, der Euro-Zone gleichsam zwei Geschwindigkeiten zu erlauben. Und für die Zukunft realistischere Kriterien für den Wiedereintritt der Defizitländer in die Euro-Zone zu definieren (und Kontrollen, die tatsächlich greifen).
    So ausgedrückt, hört das Programm sich relativ simpel an. Doch aus einer Reihe von Gründen ist es nicht ganz so einfach. Einer der wichtigsten ist die Auswirkung, die diese Entscheidungen auf Regierungen und Politiker hätten. Ganz banal gesagt: Die einzig tragbare Lösung wäre der Austausch eines Großteils derer, die uns heute vertreten. Wir würden auf G8- und G20-Gipfeln eine Menge neuer, unverbrauchter Gesichter sehen.
    Die Rettung Europas, ja vielleicht sogar des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, die Reaktion auf das schwankende wirtschaftliche Gleichgewicht des Kontinents, erfordert dieses Massenopfer all jener, die uns mit unglaublicher Ruchlosigkeit bis heute in den Abgrund regiert haben.
    Ebendas fordern die empörten Bürger auf den Straßen Europas, ebendas wollen auch die Märkte.
    Wird es so kommen?
    Die Antwort weiß nur der Wind.

Dank
    Als Carlo Alberto Brioschi mich fragte, ob ich nicht ein Buch über den Funken des Aufstands
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