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Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert

Titel: Der Flächenbrand der Empörung - wie die Finanzkrise unsere Demokratien revolutioniert
Autoren: Loretta Napoleoni
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sind Letztere auf 100 Millionen Dollar gestiegen. In Argentinien gehen die Menschen auf die Straße. Generalstreiks legen das Land lahm. Schließlich wird im Dezember 2001, im Hochsommer also, der Zahlungsausfall erklärt. Und Argentinien geht keineswegs einen kontrollierten Bankrott ein wie Island. Der Zusammenbruch lässt sich eher mit dem von 1929 vergleichen.
    Innerhalb weniger Tage wird der Peso um 70 Prozent abgewertet. Die Wirtschaft erlebt einen totalen Einbruch. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpft um 20 Prozent, die Arbeitslosigkeit steigt auf 60 Prozent, Gehälter und Pensionen werden nicht mehr ausgezahlt, die Menschen stürmen die Banken und plündern die Supermärkte: Es herrscht pure Anarchie! Vielmehr: Wir erleben die moderne Version der Weltwirtschaftskrise von 1929. Der Zahlungsausfall Argentiniens wird der größte Staatsbankrott in der Geschichte: 141 Milliarden Dollar Staatsanleihen werden mit einem Schlag nahezu wertlos. Und doch: Letztlich umfasst dieser Betrag nur einen Bruchteil der italienischen Staatsschulden von 1938 Milliarden Euro im Jahr 2012.
    Die Wirtschaftskrise zog eine politische nach sich: Fünf Präsidenten innerhalb von zwei Wochen – das politische Establishment macht unbekannten und unverbrauchten Gesichtern Platz. Doch der Protest der Argentinier gegen eine Klasse, die mit dem Leben und dem Wohlstand zahlloser Menschen spekuliert hat, ist mehr als nur die politische Neuorientierung einer Nation. Denn der argentinische Staatsbankrott wird auf dem gesamten Kontinent zum Fanal des Ungehorsams. Er stößt eine Entwicklung an, in deren Verlauf in mehreren Ländern plötzlich Mitte-links-Regierungen an die Macht kommen: Lula in Brasilien und Morales in Bolivien. Der revolutionäre Gedanke breitet sich aus.
    Der argentinischen Revolte folgten die in Bolivien (2003) und in Ecuador (2005). Die Entwicklung setzte sich in Zentralamerika fort und erreichte schließlich auch Nicaragua und Honduras. So betrachtet, war das Jahr 2001 der Wendepunkt in der politischen Geschichte dieses Kontinents: Denn danach war nichts mehr so wie vorher.
    Der Übergang vom Konzept der »Regierung« (neoliberalistisch) zu dem der Governance (postneoliberalistisch) wird in einigen lateinamerikanischen Ländern gerade einem strategischen Test unterworfen: Brasilien, Argentinien, Peru sind die Zukunftswerkstätten der Welt. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet dort auch neue Methoden ausprobiert werden, um Krisen zu begegnen. Einige lateinamerikanische Länder erhöhen in Zeiten der Krise nicht ihre Sparanstrengungen, sondern die Ausgaben für die Sozialsysteme. Eine Rückkehr zu den Theorien von John Maynard Keynes mit einer Prise Marxismus gewürzt? Scheint so.
    Der Weg, den Argentinien beschritten hat, war wenig orthodox. Er lief allen Prinzipien und Ratschlägen des IWF und anderer internationaler Organisationen zuwider. Wir wissen, dass der Preis, gerade in sozialer Hinsicht, hoch war. Doch die Ergebnisse machen Mut. Da gerade die PIIGS-Staaten sich heute in einer Situation befinden, die der Argentiniens am Vorabend des Zusammenbruchs ähnelt, sollten wir uns durch den Kopf gehen lassen, wie sich das lateinamerikanische Land aus dem Klammergriff befreit hat. Denn dieses Beispiel kann uns zeigen, wie es geht.
    Der Kater, der Fuchs und der arglose Pinocchio
    Alle hier analysierten Finanzkrisen haben eines gemeinsam: die zentrale Rolle, die unverantwortliche Staatsführung und globalisierte Finanzwelt dabei spielen. Man könnte sich fast in Collodis Märchen von der Holzpuppe Pinocchio versetzt fühlen, in der Fuchs und Kater der naiven Marionette übel mitspielen. Als der faule Pinocchio seinem Schöpfer wegläuft, stößt er auf zwei Gauner, den Kater und den Fuchs. Arglos erzählt er den beiden, er habe Goldmünzen bei sich. Die beiden überzeugen ihn, er müsse sie auf einem nahe gelegenen Feld »aussäen«, damit sie zu großen Bäumen heranwüchsen, von denen er dann stets Goldmünzen ernten könne.
    In gewisser Weise verhalten sich die betrachteten Staaten wie Pinocchio. Immer wieder tappen sie in die Fallen, die Hochfinanz und Politik ihnen aufstellen: der scheinbar ideale Schleichweg zu mehr Wachstum und Entwicklung, auch wenn die angewandten Tricks noch so absurd sind. Das war so in Malaysia, wo die Immobilienblase dafür sorgte, dass die Immobilienpreise höher lagen als in New York. In Argentinien, wo man sich überreden ließ, die Altersvorsorge für die Beamten zu privatisieren, ohne sich darum
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