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Der fingerkleine Kobold

Der fingerkleine Kobold

Titel: Der fingerkleine Kobold
Autoren: EDITION digital Verlag
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listigen schwarzen Augen an. „Na
du", sagte er, „hier draußen ist aber gar keine Schule." Dabei
zwinkerte er freundlich mit dem linken Auge. Christoph wurde plötzlich ganz
fröhlich. „Weiß ich doch", sagte er, „aber ich brauch heute nicht zur
Schule."
    „So?“, sagte der Fahrer. „Heute ist aber kein Erster Mai und
auch kein siebenter Oktober, und was willst du mit deinem Ranzen, im
Wald?"
    „Ich will meine kranke Großmutter besuchen“, sagte
Christoph, „und ihr Kuchen und Wein bringen, sie wohnt hier im Wald."
    „Ach nee", staunte der Straßenbahnfahrer, „was du nicht
sagst, Kleiner! Pass nur auf, dass du nicht vom Weg abkommst und nicht vom Wolf
gefressen wirst."
    „Keine Sorge", rief Christoph und sprang aus der
Straßenbahn, „ich bin doch nicht so dumm wie Rotkäppchen!"

ALS VIERTES: EINE SELTSAME ALTE FRAU
    Zuerst musste Christoph am Friedhof vorbei. Aus dem großen
Eisentor trat gerade eine alte Frau heraus. Sie war klein und zierlich, trug
mit einer Hand eine Gießkanne und einen leeren Spankorb, mit der anderen einen
Spaten und eine Harke. Sie lief mit raschen kleinen Schritten vor Christoph
her.
    Christoph dachte: Sie hat eine ganz normale Nase und weiße
Haare, das ist keine Hexe und keine Fee, sondern eine richtige Oma.
    Er holte sie ein und sagte freundlich: „Guten Tag, darf ich
Ihnen tragen helfen?"
    „Natürlich darfst du", sagte die Frau und gab Christoph
die Gießkanne. Sie gingen schweigend nebeneinanderher. Christoph wunderte sich,
dass die Frau nicht sagte: Hier ist aber keine Schule. Oder etwas Ähnliches.
    Da sagte sie: „Du schwänzt also heute die Schule."
    „Ja", sagte Christoph, „woher wissen Sie das
denn?"
    Die Frau lächelte. Sie sagte: „Sie haben dich gekränkt,
nicht wahr?"
    „Ja", sagte Christoph wieder, und plötzlich kam die
Frau ihm seltsam vor.
    Am Weg stand eine Bank. Die Frau stellte den Spankorb und die
Gartengeräte ab, setzte sich und sagte: „Wir wollen uns ausruhen. Schade, dass
ich nichts zu essen habe. Ich habe Hunger."
    Da nahm Christoph seinen Ranzen ab, holte seine
Frühstücksdose heraus und sagte: „Wir können uns ja mein Frühstück
teilen."
    „Danke", sagte die Frau, „du bist aber ein guter
Junge."
    Christoph wurde rot.
    Sie aßen beide. Die Frau dachte nach. Christoph dachte auch
nach. Die Frau war zuerst mit Essen fertig. Und mit dem Nachdenken auch. Sie
fragte: „Hattest du nicht auch ein bisschen schuld?"
    Christoph sagte empört: „Wenn sie mir aber alle meine
Märchenbücher wegnehmen? Und dann sagen sie, ich soll nicht lügen, aber wenn
ich die Wahrheit sage, krieg ich 'ne Ohrfeige. Oder einen Eintrag."
    „Wofür war der Eintrag?", wollte die Frau wissen.
    „Weil ich gesagt hatte, die Schule sei mir zu laut und zu
langweilig. Aber das ist schon lange her. Seit ich weniger sage, was ich denke,
krieg ich weniger Ärger. Und nun auf einmal: Ich soll nicht schwindeln. Das
soll einer verstehen."
    „Ist es jetzt nicht mehr laut und langweilig?", fragte
die Frau.
    „Doch, meistens", sagte Christoph. „In den Pausen ist
es laut, und in Musik — einfach schrecklich. Und langweilig — na ja. Wissen
Sie, ich warte nicht mehr ab, bis es langweilig wird. Ich geh vorher weg."
    „Wo gehst du denn hin? In den Wald?“
    „Ach wo", sagte Christoph, „das ist nur heute. Ich geh
in Gedanken weg und erzähl mir Märchen. Manchmal erzähl ich mir solche, die ich
noch gar nicht kannte, das ist dann ganz besonders schön. Und wenn Frau Becker
merkt, dass ich nicht aufgepasst habe, find ich immer eine andere Ausrede, das
ist ganz lustig, wissen Sie."
    „Soso", sagte die alte Frau. „Und nun sind deine
Märchenbücher fort."
    „Ja“, sagte Christoph bekümmert. „Und sie kommen erst
wieder, wenn ich am Schuljahresende ein gutes Zeugnis habe und wenn ich nicht
mehr schwindle. Ist das nicht schrecklich? Und ganz ungerecht, einfach so die
Märchenbücher wegnehmen! Sie hätten wenigstens vorher mit mir reden können.
Finden Sie nicht auch?"
    „Ja", sagte die Frau. „Das hätten sie wohl tun müssen.
Da hast du recht.“
    Die Frau kam Christoph immer seltsamer vor. Ihre
kohlschwarzen Augen erinnerten ihn an etwas, aber er wusste nicht woran.
Plötzlich griff sie in ihre große Schürzentasche und holte ein Kästchen hervor.
Es war ein kleines, helles Holzkästchen, bemalt mit roten und blauen Blumen und
grünen Blattranken.
    „Weil du ein guter Junge bist", sagte die Frau, „und
mir tragen geholfen und dein Frühstück mit mir
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