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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel
Autoren: Barbara Tuchman
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Burgund, den Grafen von Bar und Soissons und vielen anderen, die in dem Vorgang einen Angriff auf ihre Vorrechte sahen. Enguerrand weigerte sich, sich der Untersuchung zu unterwerfen, da sie seine Ehre, seinen Stand und seine adlige Abstammung verletze. Er forderte einen Urteilsspruch durch die Fürsten seines Ranges und verlangte ein Gottesurteil durch Zweikampf. Ludwig IX. wies diesen Anspruch fest zurück und bestand darauf, daß der Zweikampf in Fällen, die Arme, Kirchenleute oder »Personen, die unser Mitleid verdienen«, betreffen, nicht die richtige Verfahrensweise sei. Enguerrand wurde verurteilt, und obwohl der König ursprünglich das Todesurteil anstrebte, ließ er sich von den Fürsten überreden, darauf zu verzichten. Enguerrand wurde schließlich dazu verurteilt, eine Strafe von 12 000 Pfund zu bezahlen, die teils dazu diente, Messen für die ewige Seligkeit der Gehängten lesen zu lassen und teils nach Akkon geschickt wurde, um der Verteidigung des Heiligen Landes förderlich zu sein. Damit war ein Kapitel Rechtsgeschichte geschrieben worden, das später bei der Heiligsprechung Ludwigs IX. als Begründung herangezogen werden sollte.
    Der Reichtum der Coucys versetzte Enguerrand IV. in den Stand königlicher Gnade zurück, als er König Ludwig 1265 15000 Pfund lieh, um zu kaufen, was man für das wahre Kreuz hielt. Abgesehen davon setzte er seinen gewalttätigen Lebenswandel in das 14. Jahrhundert hinein fort und starb im hohen Alter von 75 Jahren im Jahre 1311, ohne Nachkommen, aber nicht ohne eine fromme Stiftung. Er hinterließ dem Leprosarium von Coucy-la-Ville »in alle Ewigkeit« jährlich 20 Sous (ein Pfund), damit die Insassen »jedes Jahr für uns und unsere Sünden beten«. Zwanzig Sous [Ref 15] waren zu der damaligen Zeit die tägliche Entlohnung für einen Ritter oder vier Bogenschützen oder die zwanzigtägige Miete für einen Ochsenkarren oder ein doppeltes Jahresentgelt für einen bezahlten Bauern. So darf angenommen werden, daß es auch eine stattliche Anzahl von Gebeten bedeutete, wenn auch vielleicht nicht genug für eine Seele wie die Enguerrands IV. Als dieser unbetrauerte Fürst starb, hinterließ er, obwohl zweimal verheiratet, keine Erben, und der Titel ging an die Nachkommen seiner Schwester Alix, die
mit dem Grafen von Guînes verheiratet war. Ihr ältester Sohn erbte Land und Titel der Guînes, während ihr zweiter Sohn Enguerrand V. der Herr von Coucy wurde. Am Hof von Alexander von Schottland, seinem Großonkel, aufgezogen, heiratete er Catherine Lindsay von Baliol, eine Nichte des Königs, und herrschte zehn Jahre. In schneller Folge kamen nach ihm sein Sohn Guillaume und sein Enkel Enguerrand VI., der den Besitz 1335 erbte und fünf Jahre später Vater von Enguerrand VII. werden sollte, dem letzten der Coucys und dem Helden dieses Buches. Durch weitere Heiraten mit mächtigen Familien aus Nordfrankreich und Flandern schufen die Coucys sich weitere starke und einflußreiche Verbindungen und erwarben Ländereien, Geldquellen und einen Wald von Bannern. Sie konnten zwölf Wappen vorweisen Boisgency, Hainault, Dreux, Sachsen, Montmirail, Roucy, Baliol, Ponthieu, Châtillon, St. Pol, Geldern und Flandern.
    Die Coucys hielten in ihrem Stolz hof wie große Fürsten. Sie hielten Gericht nach Art des Königs und unterhielten ihr Haus mit denselben Bediensteten wie der König: ein Waffenmeister, ein Hofmarschall, ein Jagdaufseher und Falkner, ein Stallmeister, ein Förster, ein Küchenchef oder Oberkoch, ein Bäckermeister, ein Meister der Vorratskeller, der Fruchtlagerung (einschließlich Gewürze, Fackeln und Kerzen für die Beleuchtung) und ein Meister des Mobiliars (außerdem verantwortlich für die Teppiche und das Hoflager auf Reisen). Ein Feudalherr dieses Ranges beschäftigte gewöhnlich auch noch einen oder mehrere Ärzte, Friseure, Priester, Maler, Musiker, Sänger, Sekretäre und Schreiber, einen Astrologen, einen Hofnarren und einen Zwerg, daneben Pagen und Edelleute. Ein verdienter Lehnsmann arbeitete als Haushofmeister, als Châtelain oder Garde de Château, er leitete das gesamte Anwesen. Fünfzig Ritter, ihre Knappen, Begleiter und Diener bildeten in Coucy zusammen eine ständige Besatzung von fünfhundert Leuten.
    Äußere Pracht war als Statuszeichen unentbehrlich, und das bedeutete eine große Gefolgschaft in der Livree des Fürsten, aufwendige Feste, Turniere, Jagden, Lustbarkeiten und vor allem großzügige Geschenke und eine verschwenderische Hofhaltung, die,
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