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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel
Autoren: Barbara Tuchman
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Große und Kleine in Gräben und in das Gras,
Und die Toten, von Speeren durchbohrt!
Ihr Herren, verpfändet Haus und Hof, eure Burgen und Städte,
Aber laßt nicht ab vom Kampf!
    Dante schildert Bertrand in der Hölle, [Ref 17] wie er seinen abgetrennten Kopf als Laterne vor sich herträgt.
    Aus seinem Grundbesitz und seiner Zinsherrschaft leitete der Adlige sein Recht ab, über alle Gemeinen seines Gebiets mit Ausnahme der Geistlichkeit und der Kaufleute freier Städte zu herrschen. Die Autorität der »großen Herren« reichte bis zur höchsten Gerichtsbarkeit über Leben und Tod, während die Macht der einfachen Ritter nur bis zu Gefängnis-, Prügel- und Geldstrafen ging. Die Grundlage und Rechtfertigung dieser Verhältnisse bestand in der Schutzherrschaft, die sich in dem Schwur des Herrn an seine Untertanen ausdrückte. Dieser war theoretisch ebenso bindend wie der Treueschwur der Untertanen selbst, ihr Schwur galt »nur, solange der Fürst den seinen hielt«. Die politischen Verhältnisse des Mittelalters waren im Idealfall ein Vertrag wechselseitiger Abhängigkeit, der für Dienst und Treue Schutz, Gerechtigkeit und Ordnung vorsah. Und wie der Bauer Naturalien und Arbeitskraft schuldete, so war der Fürst zu Hofdiensten bei seinem Oberherrn verpflichtet, als Berater im Frieden und als Kämpfer im Krieg. In allen Fällen war der Landbesitz der Bezugspunkt, und der Treueschwur war für beide Seiten verbindlich, Könige eingeschlossen.
    Nicht alle Adligen waren große Herren wie die Coucys. Aber ein armer Ritter, der nur ein kleines Lehen und ein knochiges Pferd besaß, pflegte denselben Kult, wenn auch nicht dieselben Interessen wie ein Landesherr. Der gesamte Adel Frankreichs umfaßte an die 200 000 Personen in 40 000 bis 50 000 Familien, die ungefähr ein Prozent der Bevölkerung ausmachten. Die Abstufung reichte von den großen Herzogtümern mit einem Ertrag von mehr als 10 000 Pfund jährlich über die kleineren Burgherren mit ein oder zwei Vasallen und einem Einkommen von unter 500 Pfund bis zu
den armen Rittern, die niemandes Herr waren und nur ein Haus und ein paar Felder hatten wie ein Kleinbauer.
    Ein Knappe gehörte zwar von Geburt an dem Adelsstand an, ob er nun Ritter wurde oder nicht, aber dennoch wurden die Gerichte des öfteren angerufen, um festzustellen, welche Aufgaben ein Edelmann versehen konnte, ohne seinen Adelsstand zu verlieren. Konnte er zum Beispiel Wein von seinem Weinberg verkaufen? Das war eine delikate Frage, da die Könige den ihren regelmäßig verkauften. In einem 1393 zur Entscheidung dieser Frage vorgebrachten Fall bestimmte die königliche Verordnung höchst zweideutig, daß es »für einen Adligen nicht standesgemäß sei, eine Weinstube zu betreiben«. Einem anderen Urteil zufolge konnte ein Adliger Handel treiben, ohne seinen Stand zu verlieren. Söhne von adligen Vätern waren bekannt, »die davon leben und gelebt haben, Stoffe, Getreide, Wein und andere Handelswaren zu vertreiben, oder als Krämer, Kürschner, Schuhmacher oder Schneider ihr Auskommen gefunden haben«, aber dergleichen Aktivitäten wird sie zweifellos ihre Privilegien als Adlige gekostet haben. [Ref 18]
    Der Kern dieses Problems wurde von Honoré Bonet verdeutlicht, einem Geistlichen des 14. Jahrhunderts, der in seinem Baum der Schlachten den tapferen Versuch unternahm, den Sittenkodex militärischen Verhaltens festzulegen. Der Grund für die Beschränkung kaufmännischer Unternehmungen liege darin, so schrieb er, daß »der Ritter durch das Streben nach Reichtum keinen Grund finden soll, seinen Waffendienst zu vernachlässigen«.
    Solche Definitionsfragen wurden dem Geburtsadel in dem Maße wichtiger, wie ihr Status durch die Erhebung von Außenseitern in den Adel verwässert wurde. Die Krone hatte nämlich in der Gewährung von Stadtrechten und in der Belehnung von Gemeinen mit Ländereien eine lukrative Einnahmequelle entdeckt. Die Geadelten waren zumeist erfolgreiche Männer, die die Geldbedürfnisse des Königs befriedigten, oder sie waren Rechtsanwälte oder Notare, die dem König zunächst bei seinen zahlreichen Finanz-und Regierungsgeschäften auf den unterschiedlichsten Ebenen geholfen hatten.
    Als die Regierungsgeschäfte immer komplexer wurden, entstand so nach und nach eine Gruppe von Berufsbeamten und Ministern
der Krone. Männer dieser Gruppe wurden in den Dienstadel erhoben im Unterschied zum Schwertadel und wurden von den alten Adelsfamilien als Emporkömmlinge verachtet.
    Dadurch wurde
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