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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel
Autoren: Barbara Tuchman
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weil das Gefolge davon lebte, als die meistbewunderten Attribute eines Adligen galten.

    Der Adelsstand war den Rittern von Geburt und Abstammung zu eigen, aber er mußte durch ein »edles Leben« bestätigt werden, und das hieß ein Leben für das Schwert. Ein Adliger stammte von adligen Eltern, Großeltern und Vorfahren ab, die sich bis zu den ersten Rittersleuten zurückverfolgen ließen. In Wirklichkeit waren die Abstammungslinien aber nicht so deutlich und die Standeszugehörigkeit weniger gesichert und eher fließend. Das eine sichere Kriterium war die Funktion – und das war der Gebrauch von Waffen. Das war die dem zweiten der drei von Gott geschaffenen Stände zukommende Funktion. Alle drei Stände hatten eine feste Aufgabe zum Wohle des Ganzen. Der Kirchenmann sollte für alle Menschen beten, der Ritter für sie kämpfen, und die einfachen Menschen sollten arbeiten, damit sie alle zu essen hatten.
    Da sie Gott am nächsten standen, rangierten die Geistlichen auf der obersten Stufe. Sie waren in zwei Hierarchien geteilt, die klösterliche und die weltliche, was für die letzteren bedeutete, daß sie ihre Aufgaben unter den Laien wahrzunehmen hatte. An der Spitze beider Hierarchien standen die Prälaten – Äbte, Bischöfe und Erzbischöfe, das geistliche Gegenstück zu den weltlichen Fürsten. Ein Prälat und ein armer, ungebildeter Priester, der von Almosen lebte, hatten nur wenig gemeinsam. Der dritte Stand war noch weniger homogen, da er sowohl Dienstleistende und Arbeiter als auch die Gesamtheit der städtischen Würdenträger umfaßte, die Rechtsanwälte und Ärzte, die Zunfthandwerker, die Tagelöhner und Bauern. Nichtsdestoweniger bestand der Adel darauf, alle Nichtadligen als Gemeine zusammenzuwerfen. Ein Adliger vom Hofe des letzten Herzogs von Burgund schrieb, daß »die Städte, Handelsleute und Handwerker« nicht lange beschrieben werden müßten, da »ihnen wegen ihres dienenden Rangs keine großen Attribute zukommen«.
    Die Aufgabe des Adelsstandes war theoretisch nicht das Kämpfen um des Kämpfens willen, sondern die Verteidigung der anderen beiden Stände und die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Der Adlige sollte das Volk vor Unterdrückung schützen, die Tyrannei bekämpfen und der Tugend huldigen, das hieß, die höheren Ideale der Menschheit verwirklichen, zu denen die schmutzigen, unwissenden Bauern von ihren christlichen Zeitgenossen – im
Gegensatz zum Begründer des Christentums – nicht für befähigt gehalten wurden.
    Ein Mann von Adel liebte sein Schwert als Symbol seiner Identität. »Keiner von uns hat einen Vater, der zu Hause starb«, deklamierte ein Ritter des 13. Jahrhunderts in seinem chanson de geste , »alle starben sie in der Schlacht des kalten Stahls.«
    Der Pferderücken war der Platz des Ritters, ein erhöhter Sitz, der ihn über die übrigen Menschen stellte. In jeder Sprache außer der englischen (»knight«) bedeutet das Wort Ritter einen Mann auf dem Pferderücken. »Ein tapferer Mann auf einem guten Pferd«, so hieß es, »erreicht in einem einstündigen Kampf mehr, als zehn oder hundert Fußsoldaten könnten.« Der »Destrier«, das Schlachtroß, wurde gezüchtet, »schnell, wild, stark und treu« zu sein, und wurde nur im Kampf geritten. Während der Reise ritt der Ritter sein Reitpferd, auch mit großer Sorgfalt gezüchtet, aber von ruhigerem Temperament, während der Knappe das Schlachtroß mit der rechten Hand führte; daher stammt auch sein Name, »Destrier« von dexter , rechts. Im Militärdienst wurden der Ritter und sein Pferd als untrennbar angesehen, denn ohne Pferd war der Ritter nur ein Mann. [Ref 16]
    Die Schlacht war sein Entzücken. »Wenn ich schon einen Fuß im Paradies hätte«, verkündete Lohengrin, der Held eines chanson de geste , »zöge ich ihn zurück, um zu kämpfen.« Der fahrende Sänger Bertrand de Born, selbst adlig, wird noch deutlicher:
    Mein Herz ist glückerfüllt, wenn ich sehe,
Wie stolze Burgen belagert werden, Palisaden fallen und überwunden werden,
Wenn Vasallen erschlagen auf dem Boden liegen,
Wenn die Pferde der Toten ziellos kreisen.
Und wenn dann der Kampf beginnt, darf jeder edle Mann
Nur an das eine denken, an splitternde Arme und Schädel.
Es ist besser zu sterben als besiegt zu leben.
Ich sag euch, es gibt keine größere Lust, als von beiden Seiten den Ruf
»Voran! Voran!« zu hören und das Wiehern der reiterlosen Hengste.

Und das Stöhnen »Zu Hilfe! Zu Hilfe!«
Und wenn ich sie dann fallen sehe
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