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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel
Autoren: Barbara Tuchman
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das heraldische Wappen als äußeres Zeichen, daß schon die Vorfahren das Recht hatten, Waffen zu tragen, zu einem Gegenstand fast kultischer Verehrung. Bei Turnieren wurde das Tragen des Wappens als Beweis adliger Abstammung erforderlich; für einige Turniere mußten es sogar vier sein. Da der Dienstadel anwuchs, steigerte sich der Snobismus des Geburtsadels – bis hin zu dem Tag im 15. Jahrhundert, als ein Ritter in die Turnierschranken ritt, dem nicht weniger als 32 Wappen nachgetragen wurden. [Ref 19]
     
    Als das 14. Jahrhundert anbrach, war Frankreich der führende Feudalstaat. Seine Überlegenheit in den Formen der Ritterlichkeit, in den Wissenschaften und in der Gottesfürchtigkeit seiner Bevölkerung wurde allgemein anerkannt, und als mächtigster Verfechter der Kirche wurde sein Monarch »der christlichste aller Könige« genannt. Seine Untertanen begriffen sich als das auserwählte Volk Gottes, durch das er seinen Willen auf Erden ausdrückte. Der klassische französische Bericht vom Ersten Kreuzzug wurde dementsprechend auch Gesta Dei per Francos genannt (Gotteswerke der Franzosen). Gottes Gunst wurde 1297 bestätigt, als der französische König Ludwig IX., Feldherr zweier Kreuzzüge, ein Vierteljahrhundert nach seinem Tode heiliggesprochen wurde.
    »Der Ruhm der französischen Ritter«, schrieb Giraldus Cambrensis im 12. Jahrhundert, »erfüllt die Welt.« Frankreich war das Land der »vollkommenen Ritterlichkeit«, in das die unzivilisierten deutschen Adligen kamen, um an den Höfen der französischen Fürsten Benehmen und Geschmack zu erlernen. Ritter und Fürsten aus ganz Europa trafen sich am königlichen Hof, um die Turniere, Festlichkeiten und auch die amourösen Abenteuer selbst zu erleben. Wer dort wohnte, hatte, dem blinden König Johannes von Böhmen zufolge, der den französischen Hof seinem eigenen vorzog, »den ritterlichsten Aufenthaltsort der Welt« gewählt. Die Franzosen, so schrieb der berühmte spanische Ritter Don Pero Niño, »sind großzügig und freigebig«. Sie wissen Fremde ehrenhaft
zu behandeln, sie preisen große Taten, sie reden höflich und liebenswürdig, »sie sind fröhlich und suchen das Vergnügen. Sie sind Diener der Liebe, Männer wie Frauen, und sie sind stolz darauf.«
    Als Folge der normannischen Eroberungen und der Kreuzzüge wurde Französisch vom Adel als zweite Muttersprache gesprochen, so vor allem in England, in Flandern, im Königreich von Neapel und in Sizilien. Es wurde von den flämischen Großkaufleuten als Handelssprache benutzt, diente in den Resten des Königreichs von Jerusalem als Gerichtssprache und wurde von Gelehrten und Dichtern anderer Länder benutzt. Marco Polo diktierte seine Reisen französisch, der heilige Franziskus sang französische Lieder, und ausländische Sänger gestalteten ihre Heldenlieder nach dem französischen chanson de geste. Ein venezianischer Gelehrter übersetzte eine lateinische Urkunde aus der Stadtgeschichte eher ins Französische als ins Italienische, »weil die französische Sprache in der ganzen Welt gesprochen wird und schöner zu schreiben und zu hören ist als jede andere«. [Ref 20]
    Die Architektur der gotischen Kathedralen wurde der »französische Stil« genannt, ein französischer Architekt wurde eingeladen, um die London Bridge zu entwerfen. Venedig importierte französische Puppen, die nach der letzten Mode gekleidet waren, um mit der französischen Mode Schritt zu halten. Kostbare Elfenbeinschnitzereien fanden ihren Weg aus Frankreich bis an die Grenzen der christlichen Welt. An erster Stelle mehrte die Universität von Paris den Ruhm der französischen Hauptstadt, sie übertraf alle anderen im Ruhm ihrer Lehrer und im Ansehen ihrer Lehre der Theologie und Philosophie, obwohl diese bereits in den Doktrinen der Scholastik erstarrte. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts überschritt ihr Lehrkörper bereits die Zahl 500, und die Studenten, die aus allen Ländern Europas heranströmten, waren kaum noch zu zählen. Paris war ein Magnet für große Köpfe. Thomas von Aquin lehrte dort im 13. Jahrhundert wie auch sein deutscher Lehrer Albertus Magnus und sein philosophischer Gegner Duns Scotus aus Schottland. Im nächsten Jahrhundert trafen sich dort die großen politischen Denker Marsilius von Padua und der Engländer Wilhelm von Ockham. Paris war wegen seiner Universität das
»Athen Europas«, in dem sich, so sagte man, die Göttin der Weisheit niederließ, nachdem sie Griechenland und Rom verlassen hatte.
    Ihre
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