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Der Feind

Titel: Der Feind
Autoren: Vince Flynn
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Luftzug. Rapp ließ die Waffe auf den Kopf der Mutter gerichtet. »Sagen Sie kein Wort, sonst sterben Sie beide«, flüsterte er.
    Sie schloss die Augen und küsste das Baby auf den Kopf.
    Die Tür zum Schlafzimmer ging langsam auf, und Gould steckte den Kopf herein. Er sah seine Frau auf dem Bett sitzen und lächelte. Sie hatten geheiratet. Er trat ins Zimmer und sagte: »Warum schläfst du nicht mehr?«
    Claudia blickte in die Ecke hinüber, und er folgte ihrem Blick.
    »Die kleinste Bewegung, und Sie sind tot.«
    Gould war schweißnass vom Laufen. Er sah Rapp an und hob ganz langsam die Hände über den Kopf. »Es tut mir leid«, sagte er.
    Rapp schwieg. Jetzt, wo er dem Mann gegenüberstand, wusste er nicht, was er sagen sollte.
    Gould sah Claudia an und ging zuerst auf ein Knie nieder, und dann auf beide. Seine Hände waren hinter dem Kopf gefaltet.
    Rapp kam es so vor, als hätte er sich das alles schon vorher überlegt. So als hätten sie darüber gesprochen, wie sie reagieren würden, falls er sie fand.
    »Es tut mir leid«, sagte Gould noch einmal, und seine Stimme brach. »Bitte glauben Sie mir, Claudia hatte nichts damit zu tun.«
    »Haben Sie gewusst, dass sie schwanger war?«
    Gould nickte langsam, so als würde er sich zutiefst schämen. »Ich habe es gewusst. Claudia hat es erst hinterher erfahren. Sie hat tagelang geweint.«
    Rapp blickte zu der Frau hinüber. Sie weinte auch jetzt. Eine Träne fiel auf das Gesicht des Babys, das in den Armen der Mutter unruhig zu werden begann.
    »Ich weiß, es steht mir nicht zu, um irgendetwas zu bitten, aber …«
    »Ich höre.«
    Gould schluckte erst einmal und holte tief Luft. »Würden Sie bitte Claudia verschonen, und wenn nicht, könnten Sie dann bitte das Baby zu ihren Eltern in Frankreich bringen?«
    Rapp richtete den Schalldämpfer auf den Kopf des Mannes. Er würde die Frau nicht töten. Jeder Gedanke daran war verschwunden, als er das Baby in ihren Armen gesehen hatte.
    »Sonst noch etwas?«, fragte Rapp.
    »Was ich Ihnen angetan habe, tut mir sehr leid. Ich hätte den Auftrag nie annehmen dürfen. Claudia hatte recht.«
    Rapp sah ihn gelangweilt an. »Ist das alles?«
    »Darf ich mein Baby und meine Frau zum Abschied küssen?«
    Rapps Augen verengten sich, und er nickte langsam.
    Die Hände immer noch hinter dem Kopf, stand Gould langsam auf und trat ans Bett. Er setzte sich neben seine Frau, nahm sie in die Arme, und sie weinten beide. Gould streichelte ihr Haar und sagte ihr, wie sehr er sie liebte. Dann beugte er sich hinunter und küsste das Baby auf den Kopf.
    »Meine liebe Anna«, sagte er, »ich kann mich glücklich schätzen, dass ich sehen durfte, wie du zur Welt kamst, und dass ich dich in den Armen halten durfte … auch wenn es nur für ein paar Tage war.« Goulds Schultern begannen zu zucken, und er weinte über seinem Baby. Claudia schlang die Arme um ihn und küsste ihn auf den Kopf, so wie sie das Baby zuvor geküsst hatte.
    Rapp stand in der Ecke des Zimmers, die Pistole auf den Vater, die Mutter und das Kind gerichtet. Was ist nur mit mir geschehen? , fragte er sich. Was er hier sah, das wäre sein Leben gewesen, wenn Anna noch leben würde. Der Schmerz der vergangenen neun Monate kehrte zurück und traf ihn mit der vollen Wucht der Erinnerung an seine Frau und sein ungeborenes Kind. Wie er so dastand und seine Entschlossenheit ins Wanken geriet, stellte er sich eine ganz simple Frage: Was würde Anna tun? Schließlich war es ihr Leben, das er rächte, nicht das seine. Es war ihm, als könnte er sie hören, wie sie ihm etwas zurief – fast so, als stünde sie hier neben ihm.
    Das Baby wachte auf und begann zu weinen. »Anna, nicht weinen«, sagte der Vater. »Es wird alles gut. Deine Mutter wird sich um dich kümmern, und ich werde dich immer lieb haben.«
    Claudia blickte zu Rapp auf, die Augen gerötet und von Tränen feucht.
    »Sie haben Sie Anna getauft«, sagte Rapp.
    »Nach Ihrer Frau.«
    Rapp nickte langsam und ließ die Waffe sinken. Er holte tief Luft und ging hinaus, ohne ein Wort zu sagen. Er schritt über die Terrasse und ging die Stufen zum Sandstrand hinunter, ohne zurückzublicken. Keinen Moment lang fürchtete er um sein Leben. Er würde Anna, beiden Annas, das geben, was sie sich mit Sicherheit wünschten. Wenn Gould immer noch derselbe eiskalte Killer war wie zuvor, dann würde er nicht lange zögern. Es gab sicher noch mehr Waffen im Haus. Er würde sich eine nehmen und aus dem Haus kommen – doch mehr würde er
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