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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel
Autoren: Polina Daschkowa
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abgetragene
     hellblaue Jeans umschlackerte sie wie ein Sack, darüber hing eine weite schwarze Männerjacke aus Segeltuch.
    »Entschuldigen Sie.« Julia schob die Dame sanft beiseite, die Glastür schwang auf.
    Julia nickte den Wachleuten zu und lief durch das Foyer zur Treppe, doch die Dame in Beige verstellte ihr erneut den Weg.
    »Valeria hat Sie sehr treffend beschrieben. Groß, gut aussehend, braunes, kurzgeschnittenes Haar. Ich habe Sie sofort erkannt,
     gleich, als Sie aus dem Auto stiegen.«
    Julia hätte schwören können, dass sie keine Valeria kannte. Aber die Dame in Beige, als hätte sie ihre Gedanken gelesen, erklärte:
     »Valeria Jewgenjewna hat sich vor einem Jahr bei Ihnen ein Facelifting machen lassen. Ich habe vorher nicht geglaubt, dass
     so etwas in unserem Land, beiunserer schrecklichen Medizin, überhaupt möglich ist, bis ich mich mit eigenen Augen davon überzeugt habe. Valeria Jewgenjewna
     sieht zwanzig Jahre jünger aus, und ohne jede Narbe oder Schwellung.«
    »Das freut mich sehr.« Julia legte einen Schritt zu und stürmte die Treppe hinauf, drei Stufen auf einmal nehmend. Sie musste
     vor der Sprechstunde doch unbedingt noch einen Schluck Kaffee trinken und einen Happen essen, sonst würde ihr in einer halben
     Stunde der Magen so knurren, dass es die Patienten hören konnten.
    »Entschuldigen Sie um Himmels willen, Julia.« Die Dame überholte sie und flüsterte leicht kurzatmig: »Hätten Sie nicht ein
     paar Minuten für uns?«
    »Gern, aber ich habe gleich Sprechstunde und bin sehr in Eile. Haben Sie etwas Dringendes?«
    »Aber wir wollen doch zu Ihrer Sprechstunde!«, verkündete die Dame freudig.
    »Nun, dann sollten Sie im Wartezimmer Platz nehmen. Dort ist es bequemer als auf der Straße.«
    »Sehen Sie, ich wollte mit Ihnen gern erst einmal in ungezwungener Umgebung reden, wir sind ein besonderer Fall, und Valeria
     hat Sie sehr empfohlen, sie hat gesagt, Sie seien nicht nur eine großartige Ärztin, sondern auch ein sensibler, taktvoller
     Mensch, was ja heutzutage recht selten ist.«
    Inzwischen hatten sie die dritte Etage erreicht und standen vor dem Sprechzimmer.
    »Warten Sie bitte hier.« Julia wies mit einem Kopfnicken auf eine Reihe weicher Ledersessel. Dort saßen bereits vier Frauen
     verschiedenen Alters und ein dicker junger Mann im schwarzen Anzug.
    Julia verschwand hinter der Tür und hörte die Dame in Beige mit scharfer Stimme sagen: »Für die Siebenundzwanzig sind wir
     die ersten, wir haben einen Termin um neun.«
    Im Sprechzimmer roch es nach Kaffee. Auf dem Tisch stand eine dampfende Tasse, daneben ein Teller mit einem Käsebrot. Die
     blutjunge Schwester Vika tuschte sich vor einem Spiegel die Wimpern. Noch fünf Minuten. Der Chefarzt Pjotr Mamonow war ein
     Pünktlichkeitsfanatiker. Punkt neun flammten über allen Sprechzimmertüren automatisch die Schilder »Bitte eintreten« auf.
     Julia konnte gerade noch in ihren Kittel schlüpfen, sich das Brot in den Mund schieben und den Kaffee hinterherschütten.
    Mutter und Tochter kamen, ohne anzuklopfen, herein. Vor Julia lag eine Karteikarte, auf der stand: »Wassilkowa Swetlana, geboren
     1983.«
    »Nun, Swetlana, was ist dein Problem?« Julia lächelte das Mädchen freundlich an. Swetlana saß auf der Stuhlkante, den Kopf
     tief gesenkt, das Gesicht hinter ihrem Haar verborgen.
    »Sie meint, sie hat eine zu große Nase«, erklärte die ältere Wassilkowa energisch und schob ihrer Tochter das Haar aus dem
     Gesicht. »Außerdem findet sie ihre Wangenknochen zu breit, ihre Augen zu klein und ihren Mund nicht richtig geformt.«
    Die jüngere Wassilkowa schüttelte den Kopf und verbarg erneut ihr Gesicht.
    »Und außerdem glaubt sie, sie wäre zu dick.«
    »Wieviel wiegen Sie?« fragte Julia das Mädchen.
    »Dreiundfünfzig Kilo, bei einer Größe von eins fünfundsiebzig«, antwortete die Mutter an ihrer Stelle.
    »Aber meine Liebe, Sie sind untergewichtig«, meldete sich Schwester Vika.
    »Für Models ist die Norm maximal fünfzig, bei einer Größe von eins achtzig«, brummte das Mädchen, ohne jemanden anzusehen.
    »Unsinn« – Julia schüttelte den Kopf –, »das ist ungesunder, gefährlicher Unsinn. Wenn man so mager ist,kommt es zu Stoffwechselstörungen, die Monatsblutungen bleiben weg, Haare und Zähne fallen aus, man kann ein Magengeschwür
     und Furunkel bekommen.«
    »Da, hörst du das? Wenn du mir nicht glaubst, hör wenigstens auf die Mediziner, die sind Profis!«, rief die Mutter.
    »Na
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