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Der Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk

Titel: Der Fall Demjanjuk
Autoren: Heinrich Wefing
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ist die Geschichte eines Gefangenen, der sich irgendwie durchgeschlagen hat. Der aber niemandem etwas zuleide getan hat. Die Geschichte eines Opfers.
    Auch die andere Version, die Version der israelischen, amerikanischen und deutschen Staatsanwälte, beginnt 1942 mit der Schlacht um Kertsch und endet 1945 in Landshut. Dazwischen aber weichen die beiden Darstellungen fundamental voneinander ab. Kein Zweifel: Entweder täuschen sich die Ankläger. Oder Demjanjuk hat Zeit seines Lebens gelogen.
    Kurz nach seiner Gefangenennahme, so behaupten die Ermittler, sei Demjanjuk im Sommer 1942 in Chelm von den Deutschen als Wachmann angeworben worden. Dass es solche Anwerbungen gegeben hat, ist unbestritten. Am 22. Juni 1941 hatte der Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion begonnen. In den ersten Monaten des «Unternehmens Barbarossa» stießen die deutschen Truppen rasch vor und eroberten riesige Gebiete. Es fehlten jedoch Männer, um das neubesetzte Territorium zu sichern. Schon Mitte Juli 1941 wies Heinrich Himmler, der «Reichsführer SS» und Chef aller Sicherheitsbehörden, daher SS und Polizei an, «zusätzliche Schutzformationen aus den uns genehmen Volksteilen der eroberten Gebiete beschleunigt aufzustellen». Rekrutiert werden sollten vor allem «Volksdeutsche», deutschstämmige Russen also, von denen man sich eine gewisse Loyalität erhoffte, zudem Balten und Ukrainer, denen ein latenter Antisemitismus und ein ausgeprägter Hass auf die Sowjetunion unterstellt wurde. Bald schon gingen die Besatzer zudem dazu über, sogenannte Hilfswillige auch unter den sowjetischen Kriegsgefangenen zu suchen. Ob diese Männer sich tatsächlich freiwillig meldeten oder zur Kooperation gezwungen wurden; ob sie angesichts der mörderischen Zustände in den Lagern überhaupt eine Wahl hatten, ob sie für einen Teller Suppe nicht zu allem bereit waren, lässt sich heute kaum mehr beurteilen.

    Iwan Demjanjuk auf einem Foto des Internationalen Suchdienstes des Roten Kreuzes, 1948.
    Insgesamt zwischen 4000 und 5000 dieser Männer, vorwiegend Deutschstämmige, aber auch viele Ukrainer, kommandierte die SS seit dem Spätsommer 1941 auf das Gelände einer verlassenen Zuckerfabrik nahe dem Örtchen Trawniki, rund vierzig Kilometer südöstlich von Lublin. Dort war schon kurz nach Beginn des Russlandfeldzugs das Lager «Trawniki» eingerichtet worden, in dem die ehemaligen Rotarmistenzu Wachmannschaften der Deutschen ausgebildet wurden. Sie erhielten einen Dienstausweis, eine flüchtige Einweisung in ihre Aufgaben, lernten zu marschieren und ein paar Brocken Deutsch, bekamen eine Uniform, Sold, eine Waffe und gelegentlich sogar ein paar Tage Urlaub. Und vor allem bekamen sie zu essen. Das «Fußvolk der Endlösung» nennt der amerikanische Historiker Peter Black diese Männer, die als die «Trawniki» in die Geschichte des Völkermords eingegangen sind.
    Sie wurden als Wachen auf landwirtschaftlichen Gütern eingesetzt, in den Ghettos trieben sie die Opfer zusammen und halfen beim Transport in die Vernichtungslager. In Belzec, Treblinka und Sobibor prügelten sie die Juden in die Gaskammern. Ohne die Trawniki, so lässt sich behaupten, hätte es den Holocaust im besetzten Polen in dieser Form kaum geben können.
    Dass Demjanjuk in Trawniki war, soll ein Dienstausweis beweisen, der dort auf seinen Namen ausgestellt wurde, mit der Dienstnummer 1393, unterschrieben vom Lagerkommandanten, dem SS-Hauptsturmführer Streibel – und von Demjanjuk selbst. Wann immer Demjanjuk vor Gericht stand: Dieser Dienstausweis war stets das wichtigste Beweisstück gegen ihn. Und das umstrittenste. Ein mittlerweile vergilbtes, stockfleckiges Stück Papier, an den Rändern eingerissen, mehrfach gefaltet, komplett mit Passfoto, mehreren Stempeln und persönlichen Daten des Wachmanns, wie Größe, Augenfarbe, Nationalität und «besondere Kennzeichen». Vermerkt steht dort, in deutscher Sprache: «Narbe auf dem Rücken.»
    Demjanjuks Ankläger halten das Dokument für authentisch, seine Verteidiger sehen darin eine Fälschung des sowjetischen Geheimdienstes. Ungezählte Experten haben sich im Laufe der Jahre über das Papier gebeugt, haben es wieder und wieder untersucht. Und sind immer wieder zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen gekommen.
    Auf dem Dienstausweis ist auch notiert, wo Demjanjuk eingesetzt worden sein soll: Am 22. September 1942 wurde er auf ein Gut namens Okzow kommandiert, das die SS betrieb. Später, im Winter 1942/1943, diente er,
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