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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward
Autoren: H. P. Lovecraft
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zu bestärken schien und ihnen auf ihre Bitten hin immer seltsam gefärbte Tränke verabreichte, bemerkte man, daß die Mittelchen, die er anderen gab, kaum jemals eine Besserung bewirkten. Als schließlich seit der Ankunft des Fremden über fünfzig Jahre vergangen waren, ohne daß er dem Gesicht und dem gesamten Aussehen nach um mehr als fünf Jahre gealtert wäre, fingen die Leute an, über finstere Dinge zu raunen; und sie entsprachen nur allzu bereitwillig seinem Hang zur Isolierung, den er schon immer hatte erkennen lassen.
    Private Briefe und Tagebücher aus jener Zeit berichten noch über eine Unmenge anderer Dinge, derentwegen Joseph Curwen bestaunt, gefürchtet und schließlich wie die Pest gemieden wurde. Seine Leidenschaft für Friedhöfe, auf denen man ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit und unter allen erdenklichen Umständen beobachtete, war stadtbekannt; allerdings hatte ihn nie jemand bei einer Handlung ertappt, die man als Leichenschändung hätte auslegen können. An der Landstraße nach Pawtuxet hatte er einen Bauernhof, auf dem er gewöhnlich den Sommer über lebte und zu dem man ihn oft zu den merkwürdigsten Tages- und Nachtstunden reiten sehen konnte. Als einzige sichtbare Diener, Landarbeiter oder Verwalter beschäftigte er dort ein mürrisches Indianerpaar vom Stamme der Narrangansetts; der Mann war stumm und hatte merkwürdige Narben, und die Frau war von ganz besonders abstoßendem Äußeren, wahrscheinlich wegen einer Beimischung von Negerblut. In einem Anbau dieses Hauses befand sich das Laboratorium, in dem die meisten chemischen Experimente durchgeführt wurden. Neugierige Träger und Fuhrleute, die an der kleinen Hintertür Flaschen, Säcke oder Kisten ablieferten, erzählten sich von den phantastischen Glaskolben, Schmelztiegeln, Öfen und Retorten, die sie in dem niedrigen, mit Regalen vollgestellten Raum gesehen hatten; und sie prophezeiten flüsternd, daß der »Alchemiker« - womit sie Alchimist meinten - über kurz oder lang den Stein der Weisen finden werde. Seine nächsten Nachbarn auf diesem Bauernhof -die Fenners, deren Anwesen eine viertel Meile entfernt war -wußten noch seltsamere Geschichten über bestimmte Geräusche zu erzählen, die sie angeblich in der Nacht von Curwens Hof her vernahmen. Manchmal seien es Schreie, so behaupteten sie, und manchmal ein langgezogenes Heulen; auch waren ihnen die großen Viehherden auf der Weide nicht ganz geheuer, denn schließlich wären längst nicht so viele Tiere nötig gewesen, um einen einzelnen Mann und ein paar Dienstboten mit Fleisch, Milch und Wolle zu versorgen. Die Zusammensetzung.der Herden änderte sich anscheinend von Woche zu Woche, denn dauernd wurden neue Tiere bei den Bauern in Kingstown gekauft. Besonders unheimlich war schließlich auch noch jenes große steinerne Nebengebäude, das lediglich hohe, schmale Schlitze als Fenster hatte.
    Müßiggänger, die immer in der Nähe der Großen Brücke herumlungerten, wußten allerhand von Curwens Stadthaus in Olney Court zu berichten; und zwar weniger über das schöne neue Gebäude, das 1761 errichtet worden war, als der Mann bald hundert Jahre alt gewesen sein mußte, sondern das alte mit dem Walmdach, der fensterlosen Mansarde und den Schindelwänden, bei dessen Abbruch Curwen die ungewöhnliche Vorsichtsmaßnahme ergriffen hatte, alle Holzteile zu verbrennen. Zwar war hier alles nicht ganz so unheimlich; aber die Stunden, zu denen Licht brannte, die Heimlichtuerei der beiden dunkelhäutigen Ausländer, die die einzigen männlichen Dienstboten darstellten, das fürchterlich undeutliche Gemurmel der uralten französischen Wirtschafterin, die großen Mengen von Lebensmitteln, die man durch eine Tür verschwinden sah, hinter der nur vier Leute wohnten, und die Art der Stimmen, die man oft zu höchst unchristlicher Zeit in gedämpftem Gespräch vernehmen konnte -all das war im Verein mit dem, was man von dem Bauernhof an der Pawtuxet Road wußte, dazu angetan, das Haus in Verruf zu bringen.
    Aber auch in den besseren Kreisen sprach man nicht selten von CurwensHaus; denn als der Neuankömmling sich nach und nach am kirchlichen und geschäftlichen Leben der Stadt beteiligt hatte, war es nicht ausgeblieben, daß er die Bekanntschaft von besseren Leuten gemacht hatte, deren Anforderungen in bezug auf gesellschaftliche Umgangsformen und Konversation er durchaus gewachsen war. Man wußte, daß er aus einer guten Familie stammte, denn die Curwens oder Carwens aus Salem waren in
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