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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward
Autoren: H. P. Lovecraft
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Andenken gänzlich zu tilgen. Überdies war das, was zutage trat, so außergewöhnlich und herausfordernd, daß man nicht umhinkonnte, sich neugierig zu fragen, was es denn gewesen sein mochte, das die Archivare der Kolonialzeit so ängstlich zu verbergen und zu vergessen gesucht hatten - oder zu argwöhnen, daß sie nur allzu gute Gründe für die Tilgung gehabt hatten.
    Bis zu diesem Ereignis hatte Ward sich damit begnügt, müßige Vermutungen über den alten Joseph Curwen anzustellen; als er jedoch seine eigene Verbindung mit dieser offensichtlich »totgeschwiegenen« Gestalt entdeckt hatte, machte er sich daran, so systematisch wie möglich nach allen Hinweisen zu forschen, deren er irgend habhaft werden konnte. Der Erfolg dieser fieberhaften Suche übertraf schließlich seine kühnsten Erwartungen, denn alte Briefe, Tagebücher und Bündel unveröffentlichter Memoiren in verstaubten Bodenkammern in Providence und anderswo enthielten viele aufschlußreiche Passagen, die zu vernichten die Verfasser nicht der Mühe wert erachtet hatten. Ein wichtiger Hinweis kam aus New York, wo im Museum von Fraunces' Tavern Korrespondenz aus dem Rhode Island der Kolonialzeit aufbewahrt wurde. Die wirklich entscheidende Wendung, die nach Dr. Willetts Ansicht die eigentliche Ursache für Wards Geistesverwirrung darstellte, brachten jedoch die Dinge, die im August 1919 hinter der Täfelung des verfallenden Hauses in Olney Court gefunden wurden. Das war es, daran ist kein Zweifel, was jene schwarzen, tiefen Abgründe auftat, tiefer als der Höllenschlund.
    II Ein Vorzeichen und ein Schrecknis Joseph Curwen, so offenbarten die weitschweifigen Legenden, die Ward hörte und aufstöberte, war ein äußerst befremdliches, rätselhaftes und dunkel furchterregendes Individuum gewesen. Er war aus Salem nach Providence geflohen - jenem Zufluchtsort aller Sonderlinge, Freidenker und Nonkonformisten -, als der große Hexenwahn ausgebrochen war, weil er fürchtete, man würde ihn wegen seines Einzelgängertums und seiner sonderbaren chemischen oder alchimistischen Experimente unter Anklage stellen. Er war ein farblos wirkender Mann um die Dreißig und wurde bald für würdig befunden, freier Bürger von Providence zu werden, woraufhin er sich ein Grundstück unmittelbar nördlich vom Anwesen des Gregory Dexter kaufte, ungefähr am unteren Ende der Olney Street. Sein Haus wurde auf dem Stampers Hill westlich der Town Street gebaut, in dem Viertel, das später den Namen Olney Court bekam; im Jahre 1761 ersetzte er es durch ein größeres, auf demselben Grundstück, das noch heute steht.
    Was die Leute an Joseph Curwen als erstes merkwürdig fanden, war, daß er seit seiner Ankunft in Providence nicht mehr nennenswert zu altern schien. Er betätigte sich als Schiffskaufmann, erwarb in der Nähe der Mile-End-Bucht Kaianlagen, half im Jahre 1713 die Große Brücke wiederaufbauen und gehörte 1723 zu den Gründern der Kirche der freien Gemeinden auf dem Hügel; doch er behielt immer das undefinierbare Aussehen eines Mannes kaum über Dreißig oder Fünfunddreißig. Als ein Jahrzehnt nach dem anderen verging, erregte diese einzigartige Eigenschaft beträchtliches Aufsehen, aber Curwen erklärte sie stets damit, daß er von robusten Vorfahren abstamme und ein einfaches Leben führe, bei dem er sich nicht abnutze. Wie diese Einfachheit mit dem unerklärlichen Kommen und Gehen des geheimnisvollen Kaufmanns und dem seltsamen Leuchten hinter allen Fenstern seines Hauses die ganze Nacht hindurch in Einklang zu bringen sei, war den Bürgern der Stadt nicht ganz klar; und sie waren geneigt, seine ewige Jugend und sein hohes Alter auf andere Gründe zurückzuführen. Die meisten Leute glaubten, daß Curwens unaufhörliches Mischen und Kochen von Chemikalien viel mit seinem Zustand zu tun habe. Man klatschte über die sonderbaren Substanzen, die er auf seinen Schiffen aus London und von den Westindischen Inseln holte oder in Newport, Boston und New York kaufte; und als der alte Dr. Jabez Browen aus Rehoboth kam und gegenüber der Großen Brücke seinen Apothekerladen mit Einhorn und Mörser auf dem Firmenschild aufmachte, wollte das Gerede über die Drogen, Säuren und Metalle, die der wortkarge Sonderling ständig bei ihm kaufte oder bestellte, kein Ende nehmen. In der Annahme, Curwen besäße wundersame geheime medizinische Fähigkeiten, gingen ihn Leidende mit verschiedenen Gebrechen um Hilfe an; doch obwohl er sie auf unverfängliche Weise in ihrem Glauben
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