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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward
Autoren: H. P. Lovecraft
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Desertionsrate hinaus dezimiert worden. Die Gerüchte beschäftigten sich vor allem damit, wie häufig Curwen angeblich im Gespräch mit den rotröckigen Ausländern gesehen worden sei; und als man dann mehrere von ihnen vermißte, erinnerten sich die Leute an die merkwürdigen Zustände unter seinen eigenen Seeleuten. Niemand weiß, was geschehen wäre, wenn die Regimenter nicht weiterbeordert worden wären.
    Unterdessen gediehen die weltlichen Geschäfte des Kaufmanns aufs vortrefflichste. Für den Handel mit Salpeter, schwarzem Pfeffer und Zimt hatte er praktisch das Monopol in Providence, und mit seinen Importen von Messingwaren, Indigo, Baumwolle, Wollsachen, Salz, Takelwerk, Eisen, Papier und englischen Waren aller Art stellte er alle anderen Reeder mit Ausnahme der Browns weit in den Schatten. Manche Ladenbesitzer, wie beispielsweise James Green - »Zum Elefanten in Cheapside« - die Russells- »Zum Goldenen Adler über der Brücke« - oder Clark und Nightingale - »Zur Bratpfanne und zum Fisch beim neuen Kaffeehaus« - waren fast vollständig auf seine Lieferungen angewiesen; und seine Vereinbarungen mit den örtlichen Brennereien, den Käsern und Pferdezüchtern der Narrangansetts und den Kerzenmachern von Newport machten ihn zu einem der führenden Exporteure der Kolonie.
    Obwohl er ausgestoßen war, mangelte es ihm nicht an einem gewissen Bürgersinn. Als das Regierungsgebäude abbrannte, beteiligte er sich mit einer hübschen Summe an der Lotterie, mit deren Ertrag der neue Ziegelbau - der noch immer am Ende der Promenade in der alten Hauptstadt steht - im Jahre 1761 errichtet wurde. Im selben Jahr half er auch, die Große Brücke nach dem Sturm im Oktober wiederaufzubauen. Er ersetzte viele der Bücher in der öffentlichen Bibliothek, die beim Brand des Regierungsgebäudes vernichtet worden waren, und kaufte große Mengen von Losen für die Lotterie, mit deren Erlösen die schlammige Marktpromenade und die zerfurchte Town Street mit einem Pflaster aus großen runden Steinen und einem Fußweg in der Mitte versehen wurden. Ungefähr zur selben Zeit baute er auch das einfache, aber gediegene neue Haus, dessen Portal ein Meisterwerk der Bildhauerkunst darstellt. Als die Anhänger von Whitefield sich 1743 von Dr. Cottons Hügelkirche lossagten und auf der anderen Seite des Flusses die Deacon Snow-Kirche bauten, schlug Curwen sich auf ihre Seite; seine Begeisterung erlahmte jedoch bald. Jetzt aber wandte er sich wieder der Frömmigkeit zu, so als wollte er die Schatten zerstreuen, die ihn in die Isolierung gedrängt hatten und bald auch seine geschäftlichen Erfolge zunichte machen würden, wenn er nicht energisch etwas dagegen unternahm. Der Anblick dieses merkwürdigen, blassen Menschen, der dem Anschein nach kaum in den besten Mannesjahren und dennoch nicht weniger als volle hundert Jahre alt war und jetzt endlich versuchte, einer Wolke der Furcht und des Abscheus zu entrinnen, die zu unbestimmt war, als daß man sie hätte näher bezeichnen oder analysieren können, war pathetisch, dramatisch und verachtenswert zugleich. Doch so groß ist die Macht des Reichtums und oberflächlicher Gesten, daß sich tatsächlich ein leichtes Nachlassen der ihm gegenüber gezeigten Abneigung bemerken ließ, zumal neuerdings keiner von seinen Seeleuten mehr verschwand. Ebenso mußte er damit begonnen haben, bei seinen Friedhofsexkursionen äußerste Vorsicht und Heimlichkeit walten zu lassen, denn er wurde nie wieder bei solchen Unternehmungen beobachtet; gleichzeitig wurden die Gerüchte über unheimliche Geräusche und Vorkommnisse auf dem Hof an der Pawtuxet Road immer seltener. Sein Lebensmittelverbrauch und sein Bedarf an Viehherden blieben weiterhin abnorm hoch; aber bis zu dem Zeitpunkt, da Charles Ward in der Shepley-Bibliothek einen Stapel Rechnungen und buchhalterische Unterlagen überprüfte, war niemand - vielleicht mit Ausnahme eines einzigen verbitterten jungen Mannes - auf den Gedanken verfallen, dunkle Vergleiche zu ziehen zwischen der großen Anzahl von Negern aus Guinea, die er bis zum Jahre 1766 importierte, und der verwirrend geringen Anzahl, für die er glaubwürdige Empfangsbestätigungen, sei es von den Sklavenhändlern an der Großen Brücke oder von den Pflanzern im Land der Narrangansetts, vorweisen konnte. Offenbar hatte dieser verabscheute Mensch in dem Moment große Schläue und außerordentlichen Erfindungsreichtum entwickelt, als die Umstände ihn dazu zwangen.
    Aber natürlich mußte der
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