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Der Falke des Nordens

Der Falke des Nordens

Titel: Der Falke des Nordens
Autoren: Sandra Marton
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erklärte sie unumwunden und schob das Kuvert über den Tisch.
    Er senkte den Kopf. Er war so wütend, dass er die Buchstaben nur verschwommen wahrnahm. Doch mit einem Mal war es ihm gleichgültig, was diese Frau ihm da anbot. Sie hatte ihn beschuldigt, ein starrsinniger und eigennütziger Despot zu sein – und nun versuchte sie ihn auch noch zu kaufen wie einen ganz gemeinen Dieb.
    “Nun?” Ihre Stimme klang ungeduldig. “Reicht das?”
    Khalil biss die Zähne zusammen, zählte insgeheim bis zehn, und erst dann nahm er den Umschlag und steckte ihn wie nebenbei in die Tasche. “O ja”, antwortete er betont freundlich, “es ist sogar mehr als genug.”
    Ich habe es erreicht! Ich habe Khalil auf unsere Seite gezogen, frohlockte Joanna. Doch als ihr bewusst wurde, dass sie es eigentlich nur mit Bestechung geschafft hatte, fiel ein Wermutstropfen in ihre Freude. Rasch schob sie diesen Gedanken beiseite, entschlossen, ihren Erfolg zu genießen, der so enorm wichtig für ihre zukünftige Arbeit bei Bennettco war.
    Khalil stand auf. “Kommen Sie, Miss Bennett”, forderte er sie sanft auf, reichte ihr die Hand und schien zu lächeln – oder etwa nicht? Jedenfalls verzog er die Lippen.
    “Ich soll mitkommen?”, erkundigte sie sich. “Wohin?”
    “Ich möchte unser Abkommen mit Champagner begießen. Aber nicht hier, wo so viele Touristen einkehren. Ich weiß etwas viel Besseres, Joanna.”
    Er hatte sie beim Vornamen genannt! Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen. Geh nicht mit ihm, warnte jedoch plötzlich eine innere Stimme sie.
    “Joanna?”
    Wozu die lächerlichen Bedenken? Ich habe ein phantastisches Ergebnis erzielt, was mein Vater mir nie zugetraut hat. Weshalb sollte ich mich jetzt fürchten?, ging es ihr durch den Kopf. Sie stand ebenfalls auf und legte ihre Hand in seine.
    Er führte sie durchs Restaurant, sagte irgendetwas zum Ober, der sich respektvoll verneigte und ihnen die Tür öffnete. Joanna hatte das Gefühl, dass es draußen noch dunkler geworden war. Khalil legte ihr die Hand unter den Ellbogen und dirigierte Joanna zu einem schnittigen Sportwagen, den er am Straßenrand geparkt hatte.
    “Haben Sie gesagt, wir würden Champagner trinken?”, erkundigte sie sich unvermittelt, denn ihr war etwas eingefallen.
    Er nickte, während er ihr in den Wagen half. Dann ging er darum herum und schob sich auf den Fahrersitz. “Ja, natürlich. Wir haben doch Grund zum Feiern. Was überrascht Sie daran so sehr?”
    Sie runzelte leicht die Stirn. “Ich wundere mich tatsächlich, denn ich habe geglaubt, Sie würden nur Wein trinken.”
    “Verlassen Sie sich darauf, Joanna”, erwiderte er sanft lächelnd, “Sie werden noch mehr Überraschungen erleben, ehe die Nacht vorüber ist.”
    Und dann gab er Gas, und sie brausten in die Dunkelheit hinein.

3. KAPITEL
    Joanna hatte sich Casablanca ausgesprochen romantisch vorgestellt, denn sie erinnerte sich an den großartigen Film mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman. Doch seit jener Zeit hatte sich viel verändert. Die Stadt war zwar alt und geschichtsträchtig, wunderschön und geheimnisvoll, zugleich aber der ökonomische Mittelpunkt Marokkos. Deshalb wirkte sie in vielerlei Hinsicht ganz alltäglich, teilweise sogar richtig düster und langweilig.
    Der Mann neben ihr war allerdings alles andere als das. Verstohlen blickte sie ihn unter halbgesenkten Lidern hervor an. Noch nie war sie einem Mann wie ihm begegnet, und das wollte etwas heißen.
    Sie betrachtete sein strenges, klares Profil, die breiten Schultern und die gepflegten Hände, mit denen er das Lenkrad hielt. In dem eleganten Anzug sah er ausgesprochen weltmännisch aus. Trotzdem konnte sie sich ihn auch gut in ganz anderer Kleidung und Umgebung vorstellen.
    Ja, überlegte sie und malte sich aus, wie er in einem langen, im Wind wehenden Gewand auf dem Rücken eines schwarzen Hengstes bei Vollmond tollkühn durch die einsame Wüste ritt.
    “Sie sind so schweigsam, Miss Bennett.” Sie hielten vor einer Ampel. Khalil schaute sie fragend an, und ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen. Irgendwie hatte sie das unbehagliche Gefühl, dass er sie unbemerkt beobachtet hatte. Rasch strich sie sich das Haar aus dem Gesicht und erwiderte höflich sein Lächeln.
    “Ich habe mich auf die Fahrt konzentriert”, entgegnete sie, während er weiterfuhr.
    Der Platz der Vereinten Nationen lag zu dieser Zeit still und verlassen da. Lediglich ein Paar in traditioneller Kleidung war noch unterwegs. Die Frau hielt
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