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Der Falke des Lichts

Der Falke des Lichts

Titel: Der Falke des Lichts
Autoren: Gillian Bradshaw
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besonders schön.
    Manchmal ritt ich mit meinem jüngeren Bruder Medraut an der Seite aus, und ich teilte mit ihm all meine Gedanken und erzählte ihm Geschichten. Er hielt mich für einen besseren Geschichtenerzähler als den Barden meines Vaters, Orlamh. Das kam nur daher, weil Medraut an den Stil der Barden nicht gewöhnt war, aber mich freute es trotzdem.
    Medraut war damals sieben, und er war ein wunderschönes Kind. Wer immer sein Vater war, mit Sicherheit mußte er edel gewesen sein. Medraut hatte blondes Haar, heller als Lot, und große, graue Augen. Seine Haut ähnelte der Haut meiner Mutter und sein Gesicht dem seines unbekannten Vaters. Aber dem Temperament nach stand er Lot näher. Er wollte Krieger werden, und er zweifelte keinen Augenblick daran, daß er auch einer sein würde. Seine Lieblingsgeschichte war die von CuChulainn, dem Held von Ulster. Medraut war sehr tapfer, er hatte absolut keine Angst vor großen Pferden und Waffen und Stieren und solchen Dingen, die die meisten Kinder fürchten. Einmal, als wir die Klippe hinabkletterten, um Möweneier zu suchen, glitt er ab und hing nur an den Händen an einem schmalen Grat, bis ich kommen und ihm helfen konnte. Als ich ihn fragte, ob er denn keine Angst gehabt hätte - und ich zitterte vor Angst -, da starrte er mich überrascht an und antwortete: Nein, warum hätte er denn Angst haben sollen? Er hätte doch gewußt, sagte er, daß ich ihn retten würde. Medraut war nicht nur tapfer - und großzügig wie ein Hoher König und raubtierhaft wie eine Wildkatze; die Eigenschaften eines großen Kriegers -, sondern er liebte und bewunderte mich auch. Ich konnte nicht verstehen, wie beides zusammenpassen konnte, aber ich akzeptierte es voller Freude. Er war frühreif, aber er war erst sieben, und das ist zu jung, um Träume ernst zu nehmen.
    Manchmal übte ich auch mit meinen Waffen, anstatt am Llyn Gwalch zu spielen oder mit Medraut über die Insel zu reiten. Der Anblick des riesigen Heerhaufens hatte irgend etwas in mir bewegt, und ich strebte danach, mich in der Kunst des Krieges zu verbessern. Zu meiner Überraschung entdeckte ich, daß es auch wirklich besser ging, und nicht nur deshalb, weil ich mehr übte. Jetzt, ohne daß Agravain bei jedem Speerwurf neben mir stand und ohne daß seine Freunde und unsere Vettern mich neckten, wenn ich mit Speer oder Schwert hantierte, jetzt konnte ich gerader und kräftiger werfen oder zustoßen.
    Das Wichtigste aber, was mir begegnete, nachdem die Armee abgezogen war, hing mit keinem dieser Dinge zusammen. Morgas lehrte mich lesen.
    Sie kam eines Nachmittags herauf, als ich im Hof hinter dem Haus der Knaben Speere nach einer Strohscheibe warf. Einen Augenblick starrte ich noch auf das Ziel, den Speer in der Hand, und im nächsten Moment spürte ich ihren Blick auf meinem Rücken und drehte mich um.
    Sie stand an der Ecke des Hauses, dunkel und bleich im Gold der
    Nachmittagssonne. Sie trug ein Kleid aus dunkelroter Wolle, das mit einem goldenen Gürtel in der Taille eng zusammengezogen war, und der tiefe Ausschnitt enthüllte die Linie ihres weißen Halses. Sie trug eine Brosche aus Gold, die mit Granaten besetzt war, goldene Armringe und Gold in dem schwarzen Haar, das alles Licht zu trinken schien. Ich ließ den Speer fallen und starrte sie an. In diesem Augenblick schien sie mir keine Sterbliche mehr zu sein, sondern eine von den Sidhe.
    Dann überquerte sie den Hof, lächelte, und der Bann war gebrochen.
    »Gawain!« sagte sie. »In den letzten Monaten habe ich wenig von dir gesehen, mein Falke. So beschäftigt war ich mit den Plänen für deines Vaters Krieg.«
    Ich fuhr zusammen, als sie mich Falke nannte, obwohl mein Name in ihrer Sprache, der Sprache der Briten, »Maienfalke« bedeutet. Dieser Name ist so kriegerisch - »Falke«, das war ein gängiger poetischer Ausdruck für Krieger -, daß ich immer versuchte, seine Bedeutung zu vergessen. Wenn meine Mutter aber diesen Namen für mich benutzte, dann liebte ich ihn und sie.
    »Mutter«, stammelte ich, »ich.«
    »Hast du mich vermißt?« fragte sie mich. »Ich dich auch, mein Falke.«
    Das konnte nicht wahr sein, soviel wußte ich. Meine Mutter hatte mich unmittelbar, nachdem sie mich geboren hatte, einer Amme übergeben, und seit damals hatte sie kein großes Interesse an mir gezeigt. Aber ich glaubte ihr, weil sie es sagte, und ich wollte es auch glauben.
    »Ja, ich habe dich vermißt«, sagte ich zu ihr.
    Sie lächelte wieder, es war ihr tiefes,
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