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Der Facebook-Killer

Der Facebook-Killer

Titel: Der Facebook-Killer
Autoren: Oliver Hoffmann , Thommy Mardo
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Prozession.
    „Khalil wartet mit dem Wagen vor der Tür und bringt uns hier weg“, schrie ihr Mafro ins Ohr und riss sie damit aus ihren Betrachtungen der Bestie. In all dem Lärm konnte sie ihm nur durch ein Nicken bedeuten, dass sie verstanden hatte.
    Eng gegen ihren französischen Kollegen gepresst, ließ sie sich von den Gezeiten der Menschenmenge durch die Tür des Gerichtsgebäudes ins Freie tragen, wo eine kurze, breite Steinfreitreppe, die ebenfalls komplett belagert war, hinunter zum Straßenniveau führte. Jenseits der Menschenmenge, am gegenüberliegenden Straßenrand, scheinbar unerreichbar weit weg, sah die Löwin den Berber mit verschränkten Armen in lässiger Haltung an einem dunkelblauen Auto lehnen, vermutlich eines der vielen unmarkierten Zivilfahrzeuge, die dem DSCS zur Verfügung standen.
    Die sie umgebende Menge wich ein wenig zurück, als ein Wagen sich durchdrängte – eines der mattgrauen Transportfahrzeuge des französischen Justizvollzugsdienstes. Im Inneren, so wusste Geza, war die Rückbank durch ein stabiles Stahlnetz vom Fahrer- und Beifahrerbereich getrennt, damit selbst randalierende Insassen die Fahrsicherheit der Beamten nicht gefährden konnten. Dieses Fahrzeug würde Manet gleich quer durch die Stadt kutschieren; Geza hatte einer per Mail eingetroffenen Vorabinformation des Justizministeriums entnommen, dass man den Mann, der sich Azrael nannte, in die geschlossene psychiatrische Station des Sainte-Anne-Krankenhauses bringen würde. Dort würde er unter dem wachsamen Auge seiner Ärzte und des Gesetzes sein restliches Dasein fristen.
    Der Wagen kam zum Stehen, und zwei mit Handfeuerwaffen und Schlagstöcken bewaffnete Männer in der grauen Uniform der Justizvollzugsbeamten stiegen aus, ein hünenhaft gebauter Dunkelhäutiger, der den Wagen gefahren hatte und ein schmaler Weißer mit einem Schnauzbart, der auf dem Beifahrersitz gesessen hatte. Der schwarze Hüne trug eine große, verspiegelte Sonnenbrille im Pilotenstil.
    „Seltsam“, dachte die Wölfin bei seinem Anblick. „Das passt irgendwie gar nicht so recht zueinander, die Uniform und diese Brille.“
    Die Beamten schoben sich durch die Reihen der Schaulustigen wie Preisboxer auf dem Weg zum Ring. Ziemlich unsanft ging die Übergabe des Gefangenen von den beiden uniformierten Polizisten an die Justizvollzugsbeamten vor sich. Der Sonnenbrillenträger zerrte Kristof Manet zum Wagen und „half“ ihm grob beim Einsteigen.
    Da stimmte etwas nicht.
    Die Wölfin war von einer Sekunde zur anderen in höchster Alarmbereitschaft. Diesen Mann in der Uniform hatte sie schon einmal gesehen! Nur wo? Wo, verdammt noch mal?
    Innerlich versuchte sie, Druck auf ihr Erinnerungsvermögen zu machen, was dieses keinen Deut interessierte.
    Dann krallte sie sich plötzlich in Mafros Arm.
    Sie wusste, woher sie den Mann kannte.
    Sie hatte seinen Avatar vor ganz kurzer Zeit neben einem Chatprotokoll gesehen.
    „Fronzac!“, schrie sie. „Halten Sie den Wagen auf!“
    „Was?“ Mafro sah sie vollkommen entgeistert an.
    „Der Justizvollzugsbeamte! Das ist Samuel Abou!“
    Mafro brauchte einen Augenblick, um zu begreifen. Dann schrie er über den allgemeinen Lärm hinweg: „Khalil!“, deutete auf den gerade anfahrenden Gefangenentransporter und rannte los.
    Wissend, dass sie beide zu spät kommen würden.
    Sam Abou nahm grinsend seine Schildmütze ab, drehte sich zu seinem Fahrgast um und sagte: „Willkommen in der Freiheit, Vince!“ Dann fuhr er rücksichtslos an.
    „Was?“, fragte der kleine Mann mit dem Schnurrbart irritiert und drehte den Kopf zu seinem dunkelhäutigen Kollegen.
    Er blickte genau in die Mündung von dessen Dienstwaffe.
    Dann drückte Sam Abou ab. Die Kugel durchschlug die Stirn seines Kollegen, der auf der Stelle tot war und gegen die Beifahrertür sackte.
    Abou ließ die Waffe einfach fallen und gab Vollgas.
    Doch der Facebook-Killer bekam all das gar nicht mit.
    Er beobachtete durch die Heckscheibe die rasch kleiner werdende Gestalt der Frau, die sie die Wölfin nannten.
    Sie hatte begriffen. Zu spät, aber immerhin: Sie hatte begriffen.
    Kris Manet hob die noch immer gefesselten Hände und warf ihr durch die Heckscheibe eine Kusshand zu.
    Sie würden einander zweifellos wiedersehen.

Der Autor

    Oliver Hoffmann: 1965 in Mannheim geborener bekennender Sohn der Quadratestadt. Studierte Germanistik, Politische Wissenschaft und Medienwissenschaft ebendort. Erfindet Geschichten seit dem Kindergarten. Büchernarr, seit
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