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Der Facebook-Killer

Der Facebook-Killer

Titel: Der Facebook-Killer
Autoren: Oliver Hoffmann , Thommy Mardo
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während sie durch eine andere Welt wandelt. Sie träumt:
    Sie träumt alles Schlechte, alles Böse, und begegnet ihren Ängsten – albtraumhafte Szenen von Kriegen und Katastrophen, von Gewalt und Zerstörung, von Unfällen und Wahnsinn, von verhungernden Kindern, von Spinnen und dem bösen Nachbarn, dem Schwarzen Mann ihrer Kindheit. Irgendwann überkommt sie tiefe Ruhe, alles ist dunkel, ihr Körper und ihre Träume scheinen stillzustehen. Sie liegt in ihrer Ohnmacht einfach da, und hätte sie die Wahl, sie würde nicht mehr zurückkommen wollen, aber ihr Körper ist noch zu stark, wehrt sich gegen das Leiden und stößt sie zurück in die Realität.
    Als sie langsam aufwacht, kann sie keinen klaren Gedanken fassen. Der Schmerz ist unerträglich, dennoch beginnt sie von Neuem, mühsam zu rekonstruieren, wo sie sich befindet und was mit ihr geschehen sein mag. Unter großer Anstrengung dreht sie den Kopf. Ihre Hand ist unbeweglich und mit einem dicken weißen Verband umwickelt, der sich stellenweise rot gefärbt hat. Ihr Blick wandert auf den Boden, wo sie im Halblicht eine große Blutlache erahnt, rot und geronnen. Ihr wird schlecht, sie stöhnt und jammert leise, und diesmal kommt die Erinnerung schneller zurück, als ihr lieb ist. Was sie nicht begreifen kann, ist, warum man ihr dies alles zufügt, warum man sie gefangen hält, wer zu einem solchen Verhalten fähig ist. Sie versucht, den Schmerz zu ignorieren und sich weiter zu erinnern, und die Erinnerung kommt stückweise und grausam.
    Bilder. Träume oder Erinnerungen? Sie kann es nicht trennen. Aber sie sieht:
    Sich selbst in einem Café in der Nähe des Louvre. Sie ist hier verabredet mit einem Mann, den sie im Internet kennengelernt hat, auf Facebook. Sie haben gechattet, einander Nachrichten gesandt. Es ist nicht das erste Mal, dass sie auf diese Art und Weise Männerbekanntschaften macht; meist bleibt alles virtuell, doch ab und an sucht sie den Kick und trifft sich mit einem dieser Männer. Das bedeutet nicht, dass sie gleich mit jedem ins Bett geht, dazu liebt sie ihren Freund viel zu sehr, aber ein bisschen Spaß muss sein, und was Théo nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Sie sieht keinen Grund, sich mit „Vincent Vega“ nicht real zu treffen, nachdem sie einander im Internet so sympathisch sind und seit fast drei Wochen fast täglich in Kontakt stehen. Sie weiß, dass Vincent nicht wirklich so heißt, aber er hat ihr seinen echten Namen nicht verraten wollen. Egal – was macht es schon, ob er Vincent, Didier oder Michel heißt? Sein Humor und seine Schlagfertigkeit im Chat sind unübertrefflich, und ihr ganzer Körper prickelt, wenn das Fenster mit dem John-Travolta-Profilbild aufpoppt. Sie selbst verwendet im Netz ihren wahren Namen, denn wie sollen ihre Freunde und Bekannten sie sonst finden und adden? Auch sonst hält sie nichts davon, ihre Identität zu verschleiern, und so stimmen alle Angaben ihres Profils wie Geburtstag, Geburtsort, Hobbies sowie ihr schulischer und beruflicher Werdegang mit der Wahrheit überein. Bis auf eine Kleinigkeit – bei ihrem Beziehungsstatus hat sie ein wenig gemogelt und sich als „Single“ ausgegeben. Warum auch nicht? Der Status „In einer Beziehung“ hätte die Chancen auf einen aussichtsreichen und anregenden Flirt stark gemindert
.
    Sie erinnert sich: Seine erste Nachricht in ihrem Posteingang. Nicht gerade vielversprechend, das Übliche „Hi, wie geht’s?“, und einige nichtssagende Worte. Gezeichnet: Vince Vega. Aber die Schreibe des Mannes im Chat fesselt sie, und so antwortet sie, und hinter den Floskeln kommt ein intelligenter, sensibler, gefühlvoller Mann zum Vorschein, der sie stärker in seinen Bann zieht, als ihr lieb ist. Schon bald ist es soweit: die Frage nach einem realen Treffen. Das lehnt sie zunächst ab. Doch nach einiger Zeit hat er ihr Vertrauen und sie seinem Drängen nichts mehr entgegenzusetzen. Mit Théo ist sie seit fast sechs Jahren liiert, sie ist Krankenschwester im Hôtel-Dieu am Parvis Notre Dame, hat eine beste Freundin und seit sie denken kann die immer gleichen Hobbies – Shoppen und Seifenopern im Nachmittagsprogramm, wenn sie gerade keinen Dienst hat. Ein bisschen Abwechslung zwischendurch kann da nicht schaden
.
    Dann die Erinnerung an die Enttäuschung: Dasselbe Café. Sie wartet seit zwanzig Minuten, aber Vincent kommt nicht. Sie ist verwirrt … er hatte doch auf das Treffen bestanden! Entweder ist er ein Fake, oder sie muss sich Sorgen machen, dass ihre
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