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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer
Autoren: Maximilian Dorner
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geübt.«
    Er schlug Martin abermals auf die Schulter und zog ihn mit sich hinter die Lokomotive. Abgeschirmt von den anderen reichte er Martin seine Uniformjacke und zog dessen graue Wehrmachtsjacke über, die ihm nur knapp über den Ellbogen reichte und am Rücken spannte. Argwöhnisch fixierte er sein Gegenüber und verzog dann den Mund zu einem breiten Grinsen.
    »Da muss ich mir wohl die Hände abhacken lassen, damit die passt.« Er lehnte sich an das Schwungrad der Lokomotive und bot Martin eine Zigarette an. »Wenn du sonst noch was zum Anziehen brauchst, bekommst du es für ein paar Dollar am Sendlinger Tor. Sogar komplette amerikanische Uniformen. Egal, ob du nun Amerikaner bist oder nicht.« Er zwinkerte wieder, doch Martin ging darauf nicht ein. »Gesprächig bist du nicht gerade … aber was soll’s. Wer auch immer du bist, sag, kannst du noch mehr von dem deutschen Zeug besorgen? Orden und Bronzebüsten vor allem. Ich kenne ein paar Leute in den Staaten, denen das Lametta einiges wert ist. Hast du gute Beziehungen zur Wehrmacht?«
    »Mal sehen«, murmelte Martin ausweichend, »lass uns in Kontakt bleiben!«
    »Mein Vater sammelt übrigens Uhren. Deutsche Armbanduhren. Selten so viele schöne Uhren gesehen wie in München. Meistens reicht es, wenn man ein bisschen an seiner Waffe herumspielt, schon gehört sie einem. Wie im Paradies.« Der Schwarze zupfte am Ärmel seiner neuen Jacke.»Man könnte sich alles einfach nehmen.« Plötzlich fasste er Martin ans Kinn. »Aber wir sind Amerikaner, keine Russen. Wir plündern nicht. Wir treiben Handel, und wenn’s mit der Seele unserer Schwiegermuter ist!« Er grinste von einem Ohr zum anderen. »Der beste Umschlagplatz ist zurzeit wirklich das Sendlinger Tor«, wiederholte er und ließ Martin los, »wird allerdings bald aufgelöst. Nicht ganz legal dort, die Geschäfte, aber das sind sie an der Wall Street auch nicht … Musst mir nicht sagen, wer du bist. Jeder schleppt ein Geheimnis mit sich herum. Wir tun so, als ob du einer von uns wärst.« Er schlug Martin zum dritten Mal auf die Schulter, diesmal noch kräftiger. »Und jetzt lass uns zu meinen beiden Landsleuten zurückgehen, sonst machen sie sich noch in die Hosen.« Sie kletterten den Bahnsteig hoch. »Also, du bist für die Kontrolle der Passierscheine zuständig, Fremder!«
    Martin zupfte dem Schwarzen einen Grashalm vom Oberarm und murmelte auf Deutsch: »Und du pass auf, dass man dich mit der Jacke nicht für einen von ihnen hält!«
     
    Wenig später sah er den Wartenden nachdrücklich in die Augen und tat so, als ob er ihre Passierscheine mit den Kennkarten vergliche. Mit einem forschen Wink verteilte er sie auf die beiden Waggons. Die hübschen Mädchen und Frauen schickte er in den vorderen, gleichgültig, ob die Kinder plärrten, wenn sie von ihrer Mutter getrennt wurden. Sollten sich die Hässlichen darum kümmern, die er mit den Männern in den hinteren Wagen schickte. Die Achtzehnjährige, die sich mit dem Schwarzen eingelassen hatte, und die Schüchterne, die seinem Blick, als sie jetzt vor ihm stand, zum zweiten Mal auswich, hatten natürlich ein Anrecht auf Beförderung. Martin schätzte sie auf Ende dreißig. Dem ersten Eindruck nach war sie nicht sonderlich hübsch und gut einen Kopf kleiner als er selbst. Aber ihre rotblonden Haare mit dem inzwischenzu einem Band gefalteten Tuch gefielen ihm. Sie trug als Einzige ihr Haar kurz und glatt, auf ihre Frisur schien sie viel Wert zu legen. Ihre Augen standen leicht schief unter der hohen Stirn, die Brauen waren bis auf einen schmalen Strich ausgezupft. Sie hatte durchaus etwas Anziehendes, entschied Martin nach kurzer Bedenkzeit. Und freche Augen, die ihn einen Moment lang anblitzten, bevor sie den Blick erneut senkte. Von wegen schüchtern. Während er ihren Passierschein prüfend in die Höhe hob, ballte sie die Fäuste in den Taschen ihres Kittels. Er tat so, als würde er es nicht merken, und wies sie zum vorderen Waggon.
    Als der Bahnsteig bis auf ihn und die drei Amerikaner leer war, ging Martin zu dem Lokomotivführer und befahl ihm im schneidigen Ton deutscher Offiziere, den hinteren Wagen abzuhängen. Missmutig glotzte der Mann ihn an, koppelte den Waggon schließlich aber mit einem riesigen Hammer ab. Das laute Geschimpfe aus dem abgehängten Wagen quittierten Martin und die G. I.s mit spöttischen Rufen. Sie sprangen auf die Plattform des abfahrenden Zugteils und winkten den Zurückbleibenden zu, während die Lokomotive
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