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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer
Autoren: Maximilian Dorner
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stopfte den angebissenen Brotlaib in den Rucksack.
    Hinter der Kirche stieß er auf den Bahnhof, bestehend aus einer Bretterbude, einem Bahnsteig und einem Schild: ›Tutzing‹. Auf dem einzigen Gleis stand der rauchende, schwarze Triebwagen mit zwei Waggons. Zwei Dutzend Mädchen und Frauen, manche mit Kleinkindern auf dem Arm, und etliche alte Männer drängten sich um drei Besatzungssoldaten, die offensichtlich mit der Situation überfordert waren. Martin knöpfte sich das Hemd so weit auf, dass aus seinem Leinenhemd die silbern glänzende amerikanische Erkennungsmarke herausbaumelte, und trat zu ihnen.
    » Hey guys, how ‘re ya doin?«
    »Ein New Yorker auf dem Land. Wo gibt’s denn so was?«, gab ein schwarzer Offizier mit Südstaatenakzent zurück. Inden meisten Fällen erkannten diese Kerle einen Großstädter sofort am herablassenden Tonfall.
    »Zur Sommerfrische«, antwortete Martin trocken und lachte. »Habe mich ein bisschen am See umgeschaut, ein bisschen schwimmen, ein bisschen Sport, versteht ihr?« Er fasste sich in den Schritt. Das Schwindeln fiel ihm immer leichter, aber nur so kam man weiter in Bayern. »Mein Onkel, Major Smith, arbeitet in der Militärverwaltung, Public Safety . Ich gehe ihm in München zur Hand, Briefe schreiben, dolmetschen. Zu mehr taugt sein Neffe aus Downtown Manhattan nicht.«
    Vor Smith hatten alle größten Respekt. Das wusste er von Bill.
    Die beiden weißen G. I.s nahmen bei der Erwähnung des Majors unwillkürlich Haltung an. Der schwarze Offizier jedoch ließ sich nicht beeindrucken.
    »Du sprichst also deutsch?«
    »Nicht schlecht, würde ich sagen«, antwortete Martin.
    »Perfekt«, entgegnete der Schwarze und wandte sich an seine beiden Kollegen, »Gott schickt Hilfe vom Bundesstaat New York. Das wurde auch Zeit.«
    Dann drehte er sich wieder zu Martin und zog ihn beiseite. Er deutete auf die Gruppe der Deutschen.
    »Sie sind wie Kleinkinder. Alle quengeln, dass sie nach München müssen, und wir sind schließlich keine Unmenschen, nicht wahr? In dem einen Wagen ist genügend Platz für uns – und ein paar Frauen. Man muss sie also voneinander trennen, die Hübschen von den weniger Hübschen.« Er klopfte Martin mit seiner Pranke so fest auf die Schulter, dass dieser zusammenfuhr. »Kannst du das für uns erledigen? Das ist kein Deutsch, was sie hier reden. Zumindest nicht das, was uns beigebracht wurde: Guten Tag, schönes Frau. Wo ist dein Bett? «
    »Kein Problem«, erklärte Martin.
    »Die stammt aus deutscher Fabrikation, oder?« Der Schwarze zupfte an dessen umgebundener Wehrmachtsjacke.
    Martin beugte sich vertraulich zu ihm. »Deutscher geht es nicht. Die Uniform gehörte einem, der sich lieber im letzten Augenblick selbst erschossen hat, als sich uns zu ergeben.«
    »Wo hast du sie her?«
    Martin machte eine zweideutige Geste.
    »Ein bisschen fraternisiert? Nun, als Neffe von Major Smith kann man sich mehr herausnehmen als ein gemeiner Soldat.« Der Offizier zwinkerte Martin zu. »Hatte gestern auch einen netten Abend, in der ›Engelsburg‹, witziger Name für ein Varieté. Gefällt mir verdammt gut in Bayern. Aber hör mal, deine Jacke, verkaufst du sie mir?«
    Martin grinste. »Verkaufen nicht, nur tauschen. Gegen deine. Ich wollte heute noch bei meinem Onkel vorbeischauen. Da ist es besser, ich trage zumindest Teile meiner Uniform. Sonst muss ich erklären, was ich in Tutzing gemacht habe. Das würde den alten Herrn nur aufregen.«
    »Verstehe. Getauscht wird hier auf Teufel komm raus. Erst wollen die Deutschen die Welt erobern, und nun tun sie so, als ob ihr Leben von ein paar Zigaretten abhinge. Und ihre Moral, na, die geben sie bei Dämmerung an der Garderobe ab. Tagsüber haben sie dann wieder Angst vorm schwarzen Mann.«
    Der schwarze Offizier zeigte lachend auf die Gruppe junger Frauen. Ein höchstens achtzehnjähriges Mädchen drehte sich um und grüßte mit einer vertraulichen Handbewegung.
    Martin nickte dem Schwarzen anerkennend zu. Nun wandten sich auch die anderen Frauen ihnen zu und musterten Martin verschämt. Eine nicht ganz so junge mit kastanienbraunem Kopftuch senkte den Blick.
    »Die tun nur prüde. Wenn’s drauf ankommt, legen sie sich hin, sobald sie nur eine amerikanische Uniform riechen«, kommentierte der Schwarze das Getue der Frauen. »Das junge Fräulein da zierte sich nach der Veranstaltung nicht lange. Komm, lass uns Jacken tauschen. Mit Uniform bist du in Deutschland gleich wer, das haben sie in den letzten Jahren
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