Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer
Autoren: Maximilian Dorner
Vom Netzwerk:
langsam beschleunigte.
    Auf der Fahrt rissen sie noch eine ganze Weile dreckige Witze, bis sich die Schüchterne zwischen sie drängte. Das Kopftuch hatte sie abgenommen. Eine rotblonde Strähne klebte an ihrer schweißfeuchten Stirn. Sie lehnte sich übertrieben laut summend an das Geländer. Zum ersten Mal sah sie Martin direkt an. Er stutzte. Ihr augenscheinliches Interesse an ihm stand in krassem Gegensatz zu ihrem bisherigen Verhalten.
    Der schwarze Offizier rollte mit den Augen: noch eine hungrige Braut! Diese deutschen Frauen … Aber es war dem Fremden zu gönnen, er sah ein wenig ausgehungert aus. Sollte er das Fräulein erobern. Energisch legte er seinen begriffsstutzigenUntergebenen die Arme um die Schultern und schob sie vor sich her in den Wagen.
    Kaum war Martin mit ihr allein, hörte die Frau auf zu summen.
    » You know this melody? «
    » No. « Martin sah sie überrascht an. Plötzlich kam sie ihm bekannt vor. Wann hatte er sie nur schon gesehen? Bislang hatten sie kein Wort miteinander gesprochen.
    Unterdessen durchquerte der Zug mit Stockungen das vom Krieg unversehrte Starnberg. Vom Dampfersteg am Bahnhof sprang bei stechender Sonne ein junges Mädchen ins Wasser. Erschreckt reckte ein Schwan den Hals und schwamm davon. Martin winkte der Badenden zu und drehte sich erneut zu der Rotblonden.
    Seine zu große Uniformjacke angaffend sagte sie:
    » Clothes make people, say we .«
    » Fine feathers make fine birds, we say in America «, korrigierte er sie, zog die neue Jacke aus und hängte sie sich über die Schulter.
    »Ich kenne Sie«, sagte sie, unvermittelt ins Deutsche wechselnd.
    Ihre Stimme klang hart und unduldsam. Und plötzlich wusste er auch, woher sie ihn kannte. Vor ihm stand die Unsichtbare, die ihm eine Kugel in den Bauch gewünscht hatte! Er nickte.
    »Und ob wir uns kennen!«
    Sie nahm ihm ohne Erklärung seine Jacke ab und durchsuchte die Taschen. Ein zusammengefaltetes Stofftaschentuch schüttelte sie auseinander und ließ es im Fahrtwind flattern. Zimperlich schien sie nicht zu sein. Sie ließ das Taschentuch los, das sich in einem Hagebuttenstrauch am Bahndamm verfing, und blickte dann zu den Bergen, die für einen Moment sichtbar wurden. Martin holte, ohne seine Überraschungzu zeigen, den Brotlaib aus dem Rucksack, brach ein Stück ab und hielt es ihr hin. Den Rest stopfte er sich in den Mund. Dann hob er den Rucksack über das Geländer und ließ ihn auf die Gleise fallen. Ihr Gesicht zeigte keine Reaktion. Wortlos biss sie von ihrem Stück Brot ab und kaute wie eine Kuh.
    »Brauchen Sie eine Bleibe in München?«, fragte sie nach einer Weile. »Ich kann Ihnen ein Zimmer anbieten. Ein Zimmer, das man abschließen kann.« Sie stockte und schluckte, als sie sein breites Grinsen sah. Einschränkend fügte sie hinzu: »Natürlich gegen Geld. Besitzen Sie Dollars?«
    Martin nickte bedächtig und musterte sie. Er verstand zwar nicht, warum sie ihn tags zuvor erschießen wollte und ihm nun ein Bett anbot, aber gerade das hatte seinen Reiz. Das Spiel gefiel ihm.
    »Sind Sie sich selbst sicher, dass Sie nicht mehr von mir wollen?«
    Vielleicht wollte sie ihn am Vortag gar nicht tot auf dem Hof, sondern lebendig im Bett haben. Sein Ehrgeiz, dieses Spiel zu gewinnen, war geweckt.
    Sie ging auf seine Frage jedoch nicht ein.
    »Bei uns zu Hause behaupten die Alten, dass in München Typhus ausgebrochen sei und die Pest. Die amerikanische Pest, die schwarze.« Sie deutete auf die Tür, durch die der dunkelhäutige Offizier verschwunden war.
    Martin schwieg. Ihre sich auflehnende Haltung gefiel ihm, doch sollte er ihr das besser nicht zeigen. Frauen wie sie mochten es nicht, wenn man sich zu offensichtlich für sie interessierte, das wusste er aus Erfahrung.
    »Sie lassen sich wohl durch nichts aus der Ruhe bringen?«, fragte sie.
    » What does it mean : ›Ruhe bringen‹?«, erkundigte er sich gespielt naiv.
    Sie funkelte ihn zornig an. »Sprich deutsch mit mir. Du kannst es doch. Besser als dir lieb ist.«
    Der Zug passierte eine Bahnschranke, die mit Stacheldraht abgesperrt war. Auf beiden Seiten standen Bäuerinnen mit Heugabeln in der Hand und blickten zu ihnen hoch.
    Sie studierte Martin eingehend. Seine stark ausgeprägten Backenknochen, die dichten, schwarzen Brauen, seine sehnigen Unterarme. Vor allem seine Unterarme mit den von der Sonne strohblond gebleichten Härchen und den hervortretenden Adern. Sie starrte so eindringlich darauf, dass Martin seine Hemdärmel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher