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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
Autoren: Ursula K. LeGuin
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wurde, andere drängten weiter auf der Suche nach dem Phantomdorf und folgten den fliehenden Schatten, die zum Greifen nahe vor ihnen dahinhuschten. Der Nebel schien lebendig zu sein – er wallte und wogte.
    Schatten näherten sich, flohen und verschwanden darin. Eine Gruppe von Kargs jagte den geisterhaften Spukgestalten nach, bis sie zum Hohen Fall kamen, der Felswand hoch über den Quellen der Ar, wo die vor ihnen huschenden Gestalten sich in der Luft aufzulösen schienen. Die vordringenden Kargs fühlten plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen, und schreiend stürzten sie hundert Meter tief ab, durch den Nebel hindurch in die Sonne, steil abwärts, und zerschellten in dem flachen Becken des Flusses zwischen den Felsblöcken. Die Nachdrängenden hielten bei der Felswand inne und lauschten.
    Ein Grauen schlich sich in die Herzen der Kargs. Sie begannen sich in dem unheimlichen Nebel zu suchen und ließen ab von der Verfolgung der Dorfbewohner. Am Berghang fanden sie sich, aber die Spukgestalten schlichen sich unter sie und drangen von hinten auf sie ein mit Speeren und Messern und verschwanden sofort wieder. Da liefen die Kargs den Berg hinunter, alle zusammen, von Furcht getrieben, ohne anzuhalten, bis sie sich plötzlich außerhalb des Nebels wiederfanden und der Fluß und die Schluchten unterhalb des Dorfes klar und deutlich in der hellen Morgensonne vor ihnen lagen. Hinter ihnen, quer über dem Pfad, lag eine graue Wand, in der es quirlte und wirbelte, und die alles Dahinterliegende verbarg. Aus ihr brachen noch zwei oder drei Nachzügler hervor, die sich eilends vorwärtsschleppten und ihre wippenden langen Lanzen fest umklammert hielten. Keiner blickte sich mehr um. Alle strebten dem Tal zu, so schnell sie konnten, fort aus dieser verhexten Gegend.
    Weiter unten im Nordtal kam es zu erbitterten Kämpfen. Die Städte des Ostwaldes, von Ovark bis an die Küste, hatten ihre waffenfähigen Männer aufgerufen, die jetzt gegen die Angreifer von Gont zogen. Ein Trupp nach dem anderen kam von den Hängen herab, und den ganzen Tag bis tief in die Nacht hinein griffen sie die Kargs an und setzten ihnen hart zu. Sie drängten sie zurück bis zur Küste oberhalb des Osthafens, und dort, wo die Kargs ihre Schiffe vom Brand zerstört vorfanden, verteidigten sie sich mit dem Rücken gegen das Meer bis zum letzten Mann. Der Strand an der Armündung war braun von vergossenem Blut, und erst die zurückkehrende Flut spülte ihn wieder rein.
    Oben in Zehnellern blieb der Nebel noch eine Weile liegen; dann aber bewegte er sich, schwebte nach oben und löste sich allmählich auf. Vereinzelt sah man Männer sich erheben und im hellen Licht der Morgensonne umschauen. Hier lag ein Karg mit langem blutigem Blondhaar, dort lag der Gerbermeister, der wie ein König in der Schlacht gefallen war.
    Am Dorfende brannte noch immer das Haus. Man eilte, es zu löschen, denn der Angriff war siegreich zurückgeschlagen. In der Nähe der großen Eibe fand man Duny, den Sohn des Bronzeschmieds. Ganz allein stand er da, unversehrt, aber stumm und wie benommen, so als ob ihm jemand einen schweren Schlag versetzt hätte. Die Dörfler wußten wohl, was er für sie getan hatte, führten ihn zurück ins Haus seines Vaters und gingen, das Zauberweib aus seiner Höhle zu holen, damit es den Jungen heile, der ihr Leben und ihren Besitz geschützt hatte. Sie hatten nur vier Tote zu beklagen, und nur ein Haus war zerstört.
    Man konnte keine Waffenwunde an Duny finden, und doch wollte er weder sprechen noch essen oder schlafen, und wenn man mit ihm sprach, so schien er nicht zu hören, und diejenigen, die zu ihm kamen, schien er nicht zu erkennen. Niemand in der Gegend war der Zauberei so kundig, daß er Duny von seinem Übel hätte befreien und ihm helfen können. Die Tante sagte: »Er hat seine ganze Kraft verausgabt.« Aber es lag nicht in ihrer Macht, ihm zu helfen.
    Während Duny in der Dunkelheit lag und nicht wußte, was um ihn herum vorging, verbreitete sich die Kunde von dem Jungen, der Nebel wob und den kargischen Kriegern mit ein paar gruseligen Schatten Angst einjagte, bis hinunter ins Nordtal und hinüber in den Ostwald und hinauf auf den Berg und die andere Seite wieder hinunter bis zum großen Hafen von Gont. So kam es, daß fünf Tage nach dem Gemetzel an der Armündung ein Fremder nach Zehnellern kam, der weder jung noch alt war, einen langen Umhang trug, barhäuptig ging und einen Eichenstab, so groß wie er selbst, leicht in der
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