Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
Autoren: Ursula K. LeGuin
Vom Netzwerk:
Hand hielt. Er kam nicht von unten herauf, entlang der Ar, wie die meisten Leute, sondern er kam aus den Wäldern des oberen Berghanges. Den Dorfbewohnern blieb nicht verborgen, daß er ein Zauberer war, und als er ihnen sagte, daß er alles heilen könne, führten sie ihn sofort zum Haus des Schmieds. Nachdem er alle hinausgeschickt hatte – nur der Vater Dunys und die Tante durften dableiben –, beugte er sich über den Jungen, der wie bewußtlos dalag und ins Dunkle starrte. Er legte die Hand auf die Stirn des Knaben und berührte ganz kurz seine Lippen.
    Duny richtete sich langsam auf und schaute sich um. Nach einer kleinen Weile begann er zu sprechen, und seine Kräfte und sein Hunger kehrten zurück. Man gab ihm ein wenig zu trinken, und er legte sich wieder zurück, ohne seine fragenden dunklen Augen von dem Fremden zu wenden.
    Der Bronzeschmied wandte sich an den Fremden. »Sie sind kein gewöhnlicher Mann.«
    »Noch wird Ihr Junge ein gewöhnlicher Mann sein«, sprach der Fremde. »Die Geschichte mit dem Nebel drang bis nach Re Albi, wo ich wohne. Ich kam hierher, um ihm seinen Namen zu geben, falls er, wie man mir berichtete, noch nicht das Fest der Namensgebung begangen hat.«
    Das Zauberweib flüsterte ihrem Bruder zu: »Bruder, das muß Ogion der Schweigsame sein, der Magier von Re Albi, jener, der damals das Erdbeben bezwungen …«
    »Mein Herr«, sagte der Bronzeschmied, der sich von großen Namen nicht einschüchtern ließ, »mein Sohn wird nächsten Monat dreizehn Jahre alt, und wir planten, seine Aufnahme in die Gemeinschaft der Erwachsenen am Fest der Wintersonnenwende abzuhalten.«
    »Gebt ihm seinen Namen sobald wie möglich«, antwortete der zauberkundige Mann, »denn er wird ihn bald nötig brauchen. Ich habe jetzt anderes zu tun, aber ich komme zurück an dem Tag, den ihr gewählt habt. Und wenn es euch recht ist, nehme ich ihn mit mir, wenn ich wieder fortgehe. Und wenn er sich bewährt, werde ich ihn als meinen Lehrling behalten und dafür sorgen, daß er richtig ausgebildet wird, wie es seinen Gaben entspricht. Denn es ist gefährlich, den Geist eines zur Magie Geborenen im Dunkeln zu lassen.«
    Ogion sprach ruhig und freundlich, aber mit Überzeugung, so daß selbst der eigensinnige Schmied mit allem einverstanden war.
    An Dunys dreizehnten Geburtstag, einem sonnigen Tag im frühen Herbst, als die Bäume noch im Schmuck ihrer bunten Blätter standen, kehrte Ogion von seinen Wanderungen über den Berg Gont ins Dorf zurück. Das Ritual von Dunys Aufnahme fand an diesem Tag statt. Das Zauberweib nahm ihm seinen Namen Duny, den er von seiner Mutter erhalten hatte. Namenlos und nackt schritt er in die kalten Quellen der Ar, dort wo sie zwischen den Felsen unter der hohen Felswand aufsteigen. Als er ins Wasser trat, schwammen Wolken über das Antlitz der Sonne, und riesige Schatten glitten und schwebten über das Flußbecken und hüllten ihn ein. Er durchquerte das Wasser bis ans entfernte Ufer, zitternd vor Kälte, aber langsamen Schrittes und aufrecht, wie es verlangt wurde, während um ihn das eisige, wildbewegte Wasser tobte. Auf der anderen Seite streckte ihm Ogion, der auf ihn gewartet hatte, die Hand entgegen und faßte ihn am Arm, während er ihm seinen wahren Namen zuflüsterte: Ged.
    Und so begab es sich, daß ihm sein Name von einem, der in den Künsten der Magie weise und bewandert war, zuteil wurde.
    Das Fest war noch lange nicht zu Ende für die Dorfbewohner, die sich gütlich taten am Essen, das in Hülle und Fülle vor ihnen stand, und am Bier, das reichlich floß, und dem Sänger zuhörten, der vom Tal heraufgekommen war und das Lied von den Taten der Drachenfürsten sang, als der Magier in seiner ruhigen Stimme zu Ged sprach: »Komm, laß uns gehen. Verabschiede dich und laß sie beim Fest verweilen!«
    Ged lief, um seine Sachen zu holen: das Bronzemesser, das ihm sein Vater geschmiedet hatte, einen Ledermantel, den ihm die Frau des Gerbermeisters angefertigt hatte, und einen Stock aus Erlenholz, dem die Tante magische Kräfte verliehen hatte. Das war sein, außer seinem Hemd und seiner Hose, ganzer Besitz. Dann nahm er Abschied von allen Leuten, den einzigen, die er in der ganzen Welt kannte. Er blickte noch einmal aufs Dorf zurück, das sich oberhalb der Flußquellen hinzog und von der Felswand dahinter geschützt wurde. Dann folgte er seinem neuen Meister durch den steil ansteigenden Wald der Berginsel, durch die bunten Blätter und Schatten eines strahlenden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher