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Der entgrenzte Mensch

Titel: Der entgrenzte Mensch
Autoren: Rainer Funk
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ein Buch vor« (zitiert nach der Berliner Zeitung vom 21. 11. 2003). Sein früherer Anwalt Bert Fields brachte es auf den Nenner: »Seine Freunde sind kleine Jungs, und seine Lieblingsbeschäftigung sind Kissenschlachten.« Jackson selbst glaubte, er habe Neverland wegen seiner »verlorenen Kindheit« geschaffen. Von ihm wird aber auch der Satz überliefert: »Wenn es keine Kinder auf der Welt gäbe, wenn jemand sagen würde, alle Kinder wären tot, würde ich mich unverzüglich vom Balkon stürzen« - was nichts anderes heißt, als dass er ohne die Welt des Kindseins nicht mehr leben konnte und dass es bei Neverland in erster Linie um ihn selbst ging.
    Jackson nahm dabei immer mehr in der Welt des Kindseins Zuflucht. Deshalb ließ er Neverland bauen, und dazu dienten ihm seine eigenen Kinder. Wie die Namensgebung bei diesen Kindern bereits verrät, sah er sie als Teil von sich selbst - narzisstische Größenaspekte seiner selbst, die ihm von niemandem streitig gemacht werden durften. Aus einer kurzen Ehe mit einer Krankenschwester
ging 1997 sein Sohn »Prince Michael Jr.« hervor, ein Jahr später kam seine Tochter »Paris Michael Katherine Patricia« zur Welt. Ein weiterer Sohn von einer nicht bekannten Frau wurde noch einmal »Prince Michael« genannt, und zwar Nummer II. Dass er sich in den Kindern unterschiedslos selbst wiederfinden wollte, zeigte sich nicht nur in der Namensgebung, sondern auch darin, dass er unbedingt das Sorgerecht für sie haben wollte und dass die Gesichter der Kinder in der Öffentlichkeit immer mit Tüchern bedeckt waren. Sie gehörten nur ihm. Er konnte völlig über sie verfügen - nicht weil er Herrschaft über sie ausüben wollte, sondern weil die Kinder er selbst waren. Er entgrenzte sich selbst in diese Kinder hinein. Als er - zum Entsetzen seiner Fans - das neun Monate alte Baby Prinz Michael II zum Fenster des Hotels Adlon in Berlin hinaushielt, tat er in seiner Wahrnehmung nichts mit dem Kind. Er gab sich nur selbst der Öffentlichkeit zu erkennen, weshalb er später beteuern konnte: »Ich würde niemals bewusst das Leben meiner Kinder gefährden.«
    Die an Michael Jackson interessierte Öffentlichkeit sah in ihm die personifizierte Entgrenzung; für manche war er deshalb sogar ein Gott ähnliches Wesen. Dass er persönlich immer mehr einem Entgrenzungsstreben ins Kindsein huldigte, wollten sie nicht wahrhaben. Sie machten ihn zum Größten aller Zeiten oder hoben, wie etwa Lenny Kravitz, hervor, »was für ein wunderbarer Vater er war«. Andere ahnten mehr: Paul McCartney nahm bei ihm »ein Kind im Mann« wahr; Bravo -Chefreporter Alex Gernandt apostrophierte ihn gar »als ewiges Kind« und traf die innere Wirklichkeit von Jackson ähnlich gut wie Thomas Gottschalk, der anlässlich von Jacksons Tod in der BILD -Zeitung von »einer gewissen geistigen Abwesenheit« sprach, »die an ein schwieriges Kind erinnerte, das sich nicht konzentrieren kann und eigentlich nur spielen will.«
    Die vor allem auf Neverland und im Umgang mit seinen eigenen Kindern ausgelebte Entgrenzung ins eigene Kindsein wurde von den meisten deshalb nicht wahrgenommen, weil sich die Öffentlichkeit mit dem Vorwurf beschäftigte, Jackson missbrauche
auf Neverland Kinder sexuell. Der Vorwurf wurde bereits 1993 gerichtskundig, nachdem der Vater eines Jungen, der sich eine Zeitlang auf Neverland aufhielt, Jackson bezichtigte, seinen Sohn sexuell belästigt zu haben. Da zu dieser Zeit für eine Klage in Kalifornien ein Strafantrag des Opfers vorliegen musste, kaufte sich Jackson das angebliche Opfer mit einer außergerichtlichen Abfindung in Höhe von 20 Millionen Dollar, so dass der Junge als Hauptbelastungszeuge ausfiel. Andere Belastungszeugen aber waren nicht zu finden. Die Ermittlungen mussten eingestellt werden. Nach einer Änderung der kalifornischen Strafprozessordnung erwirkte ein Staatsanwalt 2003 wegen des Verdachts auf mehrfachen sexuellen Missbrauchs einen Haftbefehl gegen Jackson, nachdem am Tag zuvor Neverland von 70 Ermittlern durchsucht worden war. Gegen Zahlung einer Kaution von drei Millionen Dollar wurde Jackson kurz darauf wieder freigelassen. Knapp zwei Jahre später wurde er in allen 10 Anklagepunkten von einer Jury einstimmig freigesprochen.
    Für die meisten lag und liegt noch immer die Vermutung näher, dass Jackson sich sexuell an Kindern vergangen hatte, als dass er sie für seine eigenen regressiven Entgrenzungswünsche benutzte. Die Vorstellung, dass für den »King of Pop« das
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