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Der entgrenzte Mensch

Titel: Der entgrenzte Mensch
Autoren: Rainer Funk
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seine Persönlichkeit und das Miteinander neu zu erfinden und zu inszenieren imstande ist - nämlich ohne lästige Grenzen.
    Allerdings beinhaltet ein solches Entgrenzungsstreben auch Risiken. Der entgrenzte Mensch fühlt sich nicht nur frei und selbstbestimmt; er versucht auch, in seinem Selbsterleben alles zu meiden, was ihn an seine eigene Begrenztheit und an sein Gewordensein erinnern könnte. Mit dem Entgrenzungsstreben wächst zugleich auch die Abhängigkeit des Menschen von den Instrumenten und Medien der Entgrenzung. Gleichzeitig verstärkt sich das Bestreben, diese Abhängigkeit zu verleugnen. Beide Vorgänge sollen im Eingangskapitel am Beispiel von Michael Jackson und des Stromausfalls im Münsterland im November 2005 veranschaulicht werden.
    Entgrenzung bedeutet immer, dass Grenzen beseitigt werden, entweder real oder in der Wahrnehmung. Darin, so verrät bereits die Geschichte des Begriffs »Entgrenzung«, unterscheiden sich Entgrenzungsvorgänge von Grenzüberschreitungen . Dieses wird deutlicher im zweiten Kapitel, das die ideengeschichtliche Verortung des Strebens nach Entgrenzung in der Postmoderne sichtbar macht.
    Die dann folgenden Kapitel 3 und 4 spüren dem Entgrenzungsphänomen in Wirtschaft, Arbeitswelt und Gesellschaft nach und zeigen auf, wie sich mit Hilfe von digitaler Technik, Vernetzung und elektronischen Medien Wirklichkeit entgrenzen lässt. Eine in psychologischer Perspektive besonders folgenreiche Entgrenzung ist die durch Simulationen ermöglichte Entgrenzung der Realitätsprüfung und die damit einhergehende Bevorzugung virtueller bzw. virtualisierter Realitäten, wovon Kapitel 5 handelt.

    Wie sich mit Drogen oder exzessivem Verhalten ein entgrenztes Selbsterleben herstellen lässt, so lässt sich mit Inszensierung und Virtualisierung eine neue Persönlichkeit konstruieren. Was diesen entgrenzten Menschen auszeichnet, wird im zentralen Kapitel 6 beschrieben: Dieser fühlt sich frei von allen Einschränkungen seines Antriebslebens, von gewachsenen Persönlichkeits- und Charaktermerkmalen, Bindungen und Verbindlichkeiten, lästigen oder unerträglichen Gefühlen und schließlich auch frei von allen inneren Maßgaben, die sein Selbstwerterleben sowie sein Wollen, Sollen oder Nicht-Dürfen regeln.
    Die heutigen Entgrenzungsmöglichkeiten auf die Persönlichkeit des Menschen selbst anzuwenden und sich mit dem Entgrenzungsstreben zu identifizieren, wird in Kapitel 7 als »Doping der Seele« interpretiert und zunächst einer allgemeinen psychologischen Kritik unterzogen. Zu welchen, unter Umständen gravierenden, Folgen die Entgrenzung der Persönlichkeit führen kann, beschreibt unter dem Titel »Grenzen des entgrenzten Menschen« Kapitel 8: Entgrenzte Menschen haben vermehrt mit Stress und Gewaltbereitschaft zu kämpfen, zeigen einen erhöhten Bedarf an Feindbildern, sind verstärkt auf Mittel der Entgrenzung angewiesen und neigen verstärkt zu Abhängigkeitserkrankungen. Entgegen ihrem bewussten Selbsterleben leiden sie in Wirklichkeit an einem schwachen Ich und an geschwächten Ichfunktionen.
    Der entgrenzte Mensch ist eine Realität. Die wachsende Abhängigkeit ist, darüber gibt es unter Suchtforschern keinen Zweifel, ebenfalls eine Realität. Wie beides zusammenhängt, warum und wozu Grenzen gut sind, auf welche Weise sie überschritten werden können und welche Grenzerfahrungen auch für den entgrenzten Menschen unverzichtbar sind - diesen brennenden Fragen widmen sich die beiden letzten Kapitel des Buches.

1
    ENTGRENZT UND ABHÄNGIG

MICHAEL JACKSON - PERSONIFIZIERTES ENTGRENZUNGSSTREBEN
    Der Tod des selbsternannten »King of Pop« Michael Jackson am 25. Juni 2009 bewegte die Menschen weltweit wie kaum ein anderes Ereignis dieses Jahres. Der mit 50 Jahren an Medikamentenmissbrauch verstorbene farbige US-amerikanische Sänger, Komponist und Tänzer symbolisiert nicht nur mit seiner Musik und seinem Leben das heute allgegenwärtige Entgrenzungsstreben; »Jacko« ist vielmehr geradezu die Personifikation dieses Phänomens. Zumindest legen seine Kunst, sein Erfolg, seine Art zu leben und die Reaktionen auf seinen Tod diese Sicht nahe. Manche sehen in ihm gar die Inkarnation des Entgrenzungsstrebens: Jacko - ein göttliches oder gottähnliches Wesen, das die Botschaft von der Entgrenzung glaubwürdig vorgelebt hat und das auch über die Grenze des Todes hinaus lebendig ist. Davon soll später noch die Rede sein.
    Wenn, wie in unseren Zeiten, der Markt und also das Marktgängige auch
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