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Der entgrenzte Mensch

Titel: Der entgrenzte Mensch
Autoren: Rainer Funk
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ein unbefangener Betrachter nicht, ob das posierende Model einen Mann oder eine Frau zeigt. Offensichtlich machte es Jackson Spaß, mit der geschlechtlichen Identität zu spielen. Die Haare zu einer Frauenfrisur gestylt, die Augenbrauen nachgezogen, die Wimpern der mandelförmigen Augen getuscht, die Lippen mehr oder weniger stark geschminkt und der Teint gehellt - es musste für ihn einen Reiz haben, beide Geschlechter zu verkörpern und die anderen im Ungewissen über seine Geschlechtsidentität zu lassen.
    Beim älter werdenden Künstler kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er mit seinem körperlichen Erscheinungsbild - vor allem in Kombination mit den fantasievollen Kleidern und Accessoires - eine kindliche Märchenwelt erzeugen wollte, in der die Frage von Mann- oder Frausein keine Rolle spielt. Vielmehr dominiert das Bedürfnis, ein Kind, das keine Grenzen kennt, sein zu wollen und sich alles erlauben zu dürfen.
    Viel diskutiert und auch spekuliert wurde über operative Eingriffe, mit denen Michael Jackson sein Aussehen verändern und angeblich von einem farbigen zu einem weißhäutigen Menschen werden wollte. Während die schönheitschirurgischen Eingriffe zur Veränderung seines Gesichts weitgehend bestätigt wurden, ist seine Verwandlung in einen weißhäutigen Mensch eher das Ergebnis einer »Vitiligo« genannten Hautkrankheit als das von chirurgischen Maßnahmen. Das lokale Geringerwerden bzw. der begrenzte Ausfall der Hautpigmentierung führt bei dieser Anomalie zu weißen Flecken. Vermutlich hat Jackson darum große Hautpartien mit deckenden Cremes weiß geschminkt. Selbst wenn diese Erklärung wahrscheinlicher ist, ist nicht zu verkennen, dass die weiße Haut (ebenso wie die weißen Socken und der weiße Handschuh) ihm selbst wichtige Realisierungen seines Entgrenzungsstrebens
waren: Obwohl er ein Farbiger ist, erschuf er sich als Weißhäutiger neu und machte so das Unmögliche möglich.
    Michael Jackson war, wie Volker Schmidt (in zeit-online 27, 2009) schrieb, »eine Identifikationsfigur in einer Welt, in der sich alle Grenzen auflösten. Weder Mann noch Frau, weder schwarz noch weiß«. Dieses Auflösen aller Grenzen, selbst biologisch vorgegebener, ist denn wohl auch die Botschaft, die seine Fans in ihm verkörpert sehen möchten. Für sie ist er der Inbegriff eines Menschen, der in seinem Streben nach Entgrenzung für seine eigene Neuschöpfung alles Menschen Mögliche getan und erlitten hat. Darum waren und sind auch für viele Fans trotz der gegenteiligen Zeugenaussagen als Erklärung für die Weißhäutigkeit Jacksons zahlreiche Hauttransplantationen noch immer plausibler als eine Hautanomalie.

    Um am Bild des Entgrenzten und am Ideal des Entgrenzungsstrebens festhalten zu können, kommt es zudem zu einer gravierenden Verleugnung der Realität: Michael Jackson selbst und viele seiner Fans verleugnen seine Medikamentenabhängigkeit. Die größte Infragestellung jedes Entgrenzungsstrebens ist das Erleben von Abhängigkeit. Deswegen wird die offensichtliche Drogen- und Medikamentenabhängigkeit entweder als zur Szene gehörend bagatellisiert oder gänzlich verleugnet - was natürlich immer nur zum Teil gelingt. So behauptete Jacksons ehemaliger Sicherheitsangestellter, Chris Carter, im November 2005, Jackson nehme seit Jahren Schmerzmittel und Kokain. Ihm wurden gerichtliche Schritte gegen eine solche Verleumdung angedroht. »Allen«, so ließ Jacksons Sprecher verlauten, »die vorsätzlich den Charakter und die Integrität von Michael Jackson beschädigt haben, zeigen wir die rote Karte.« Das ganze Ausmaß seiner Medikamentenabhängigkeit kam erst scheibchenweise nach Jacksons Tod heraus.
    Seit vielen Jahren hatte er, um schlafen zu können, Benzodiazepine genommen, die vor allem eine angstlösende und beruhigende Wirkung haben, aber bei längerer Einnahme süchtig machen. So ist Midazolam, das zusammen mit Diazepam und
Lorazepam vor dem Tod verabreicht wurde, ein Hypnotikum, das als Bestandteil von Narkosen vor Operationen eingesetzt wird, weil es sicher stellt, das es keine Erinnerung an das gibt, was während der Wirksamkeit den Medikamentes geschehen ist. Lorazepam kommt als Beruhigungsmittel vor allem bei Angststörungen und Panikattacken zur Anwendung. Als Todesursache wurde bei Michael Jackson aber eine akute Vergiftung durch das Narkotikum Propofol diagnostiziert. Dieses ist ein gut steuerbares Hypnotikum, das auch bei Magen- und Darmspiegelungen eingesetzt wird und ein
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