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Der Engländer

Der Engländer

Titel: Der Engländer
Autoren: Daniel Silva
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können. Es war auch ein Gesicht mit vielen möglichen Ursprüngen, was sich beruflich als großer Vorteil erwiesen hatte.
    Isherwood bestellte gefüllte Seezunge und einen leichten Sancerre, Gabriel schwarzen Tee und eine Schale Consommé.
    Er erinnerte Isherwood an einen orthodoxen Eremiten, der sich von ranzigem Feta und steinhartem Fladenbrot ernährte, aber statt in einem Kloster lebte Gabriel in einem hübschen Landhaus an der Mündung eines Tideflusses in Cornwall. Isherwood hatte noch nie erlebt, daß er ein üppiges Mahl zu sich nahm, hatte ihn noch nie lächeln oder einer attraktiven Frau nachstarren sehen.
    Ihn gelüstete nie nach materiellen Besitztümern. Er hatte nur zwei Spielzeuge: einen MG-Oldtimer und eine hölzerne Ketsch, die er beide eigenhändig restauriert hatte. Er hörte sich Opern auf seinem erbärmlichen kleinen portablen CD-Player an, der voller Farb-und Firnisflecken war. Geld gab er nur für Künstlermaterial aus. In seinem kleinen Atelier in Cornwall hatte er mehr High-Tech-Spielsachen, als die Restaurationsabteilung der Tate Gallery besaß.
    Wie wenig Gabriel sich in den fünfundzwanzig Jahren seit ihrer ersten Begegnung verändert hatte! Ein paar Falten mehr um seine wachsamen Augen; ein paar Pfund mehr an seinem hageren Körper. An jenem Tag war er kaum älter als ein Junge gewesen, still wie eine Kirchenmaus. Schon damals hatte sein Haar graue Strähnen aufgewiesen - das Mal eines Jungen, der Männerarbeit verrichtet hatte. »Julian Isherwood, das hier ist Gabriel«, hatte Schamron gesagt. »Gabriel ist ein Mann von gewaltigem Talent, das können Sie mir glauben.«

    Von gewaltigem Talent, gewiß, aber in der Biographie des jungen Mannes klafften Lücken - zum Beispiel die fehlenden drei Jahre zwischen dem Abschluß der angesehenen Jerusalemer Kunstakademie Betsal'el und seiner Lehrzeit bei dem berühmten venezianischen Restaurator Umberto Conti. »Gabriel hat einige Zeit Europa bereist«, hatte Schamron nur gesagt. Das war das letzte Mal gewesen, daß Gabriels Abenteuer in Europa angesprochen worden waren. Isherwood sprach nicht über seinen Vater, und Gabriel sprach nicht über die Aufträge, die er ungefähr von 1972 bis 1975 für Ari Schamron, alias Rudolf Heller, ausgeführt hatte. Im stillen bezeichnete Isherwood sie als die »verlorenen Jahre«.
    Isherwood griff in die Innentasche seines Sakkos und zog einen Scheck heraus. »Dein Anteil am Verkauf des Vecellio. Hunderttausend Pfund.«
    Gabriel schnappte sich den Scheck und ließ ihn mit einer geschickten Handbewegung verschwinden. Er hatte die Hände eines Zauberkünstlers und verstand es, sein Publikum wie ein Magier zu täuschen. Der Scheck lag da, der Scheck war verschwunden.
    »Wieviel hast du dafür bekommen?«
    »Das erzähle ich dir gleich, aber erst mußt du mir versprechen, daß du die Zahl keinem dieser Aasgeier verrätst«, sagte Isherwood mit einer Handbewegung, die das gesamte Restaurant umfaßte.
    Gabriel sagte nichts, was Ishe rwood als unverbrüchlichen Eid, auf ewig zu schweigen, interpretierte.
    »Eine Million.«
    »Dollar?«
    »Pfund, Schätzchen. Pfund.«
    »Wer hat ihn gekauft?«
    »Eine sehr nette Galerie im amerikanischen Mittleren Westen.

    Er ist geschmackvoll ausgestellt, kann ich dir versichern. Kannst du dir das vorstellen? Ich habe ihn für sechzehntausend in einem staubigen Auktionsraum in Hull ersteigert, weil ich eine Ahnung hatte - eine absurde, durch fast nichts gerechtfertigte Ahnung -, er sei das verschollen geglaubte Altarbild aus der Kirche San Salvatore in Venedig. Und ich hatte recht! Einen solchen Coup landet man in seinem Leben nur einmal, mit viel Glück auch zweimal. Prost.«
    Sie stießen miteinander an: hochstieliges Weinglas mit Teetasse aus Knochenporzellan. Im nächsten Augenblick trat ein dicklicher Mann in einem rosa Hemd, das zu seinen rosa Bäckchen paßte, atemlos an ihren Tisch.
    »Julie!« rief er aus.
    »Hallo, Oliver.«
    »In der Duke Street heißt's, daß du für deinen Vecellio eine kühle Million kassiert hast.«
    »Woher zum Teufel hast du das erfahren?«
    »Hier bei uns gibt's keine Geheimnisse, mein Lieber. Erzähl mir einfach, ob das die Wahrheit oder eine infame Lüge ist.« Er wandte sich Gabriel zu , als bemerke er ihn erst jetzt, und streckte ihm seine fleischige Hand und eine Geschäftskarte mit Goldprägedruck hin. »Oliver Dimbleby. Dimbleby Fine Arts.«
    Gabriel schüttelte ihm stumm die Hand.
    »Willst du uns nicht bei einem Drink Gesellschaft leisten,
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